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AutorenbildJacqueline

#andersgedacht: Vernünftig unvernünftig sein

Wir leben in einer verkopften Gesellschaft. Alles wird berechnet, doppelt und dreifach auf seine Reliabilität geprüft und auf einer Pro-und-Contra-Liste abgewägt. „Ich denke, also bin ich“, sagte schon René Descartes und prägte mit dieser Aussage das Menschsein, so wie wir es heute kennen. Alles muss effizient sein, alles einen Sinn ergeben und schon unsere Eltern predigten uns, vernünftig zu sein. Doch ist Vernünftig-Sein wirklich alles im Leben? Macht Vernünftig-Sein uns zu einem glücklicheren Menschen?


Oder verstecken wir unsere wahren Bedürfnisse nicht auch manchmal hinter unserem Verstand? Tun wir zeitweilig Dinge einfach nicht, weil uns unser klarer Kopf im Wege steht und halten uns damit selbst von unserem Glück ab? Und vorverurteilen wir „unvernünftiges“ Handeln aus Prinzip als falsche Entscheidungen?

Generell ist Vernünftig-Sein, also nachzudenken, bevor man handelt, eine gute Sache. Eine Sache, die viel Unglück und Leid vermeiden kann. Reflexion und Bewusstsein sind wichtig für unser Zusammenleben, halten sie uns im Bestfall davon ab, unserer Umwelt und besonders uns selbst zu schaden. Sie sind der Grundstein für unser Leben mit all seinen verschiedenartigen Ausprägungen und lassen uns nicht blind vor eine Wand fahren, sondern dieselbige erkennen und einen anderen Weg einschlagen. Vernunft und vor allem der Gebrauch des Verstandes, wie Kant es nannte, sind essenziell und existenziell; wir brauchen sie für unser tägliches Überleben.


Und dennoch stelle ich mir manchmal die Frage, ob Vernünftig-Sein reicht, um nicht nur zu über-, sondern glücklich zu leben. Funktioniert Vernunft doch meist so, dass unsere Entscheidungen, die wir mit klarem Verstand treffen, alleinig das Ziel haben, negativen Konsequenzen entgegenzuwirken. Das Problem hierbei: Keine schlechten Folgen bedeuten nicht unbedingt ein gutes, zufriedenstellendes Endergebnis. Es ist ein bisschen so, wie bei Medikamenten, die eine Krankheit zwar nicht verschlimmern, den Gesamtzustand sogar verbessern, aber dennoch keine Heilung bringen.


Deshalb bin ich der Meinung, es braucht noch etwas mehr als bloß den Verstand, um sein Leben voll und ganz genießen zu können. Und dieses „Mehr“ steckt in dem menschlichen Dualismus, der immer wieder in der Philosophie, aber auch in der Popkultur beschrieben wird: Die Kombination aus ratio und emotio. Aus Verstand und Gefühl. Aus Kopf und Herz. Aus der Vernunft, die mit Fakten arbeitet und unserer Intuition, der etwas Rätselhaftes, Unerklärliches anhaftet, die ein Mysterium darstellt, welches unser Verstand nicht zu erfassen weiß. Infolgedessen erscheint, was wir fühlen, oftmals unvernünftig und wenn man es auf den Wortlaut herunterbricht, stimmt dies auch: Das Präfix „un-“ kennzeichnet einfach eine Negation des zugehörigen Adjektivs „vernünftig“ – und Tatsache ist, dass unsere Gefühle eben nichts mit Vernunft, rationalen Überlegungen oder Objektiv-Nachvollziehbarem zu tun haben, sie sind rein subjektiv und einfach da.


Trotzdem sind Gefühle, meiner Meinung nach, nicht etwas weniger Faktisches als die Gedanken, die unser Gehirn in all den Analyse-, Rechnungs- und Datenverarbeitungsprozessen produziert. Sie sind, was sie sind und durch ihre alleinige Existenz, die wir alle nicht verleugnen können, verdienen sie sich bereits unsere Aufmerksamkeit und ihre Daseinslegitimation. Dennoch haftet Gefühlen oftmals eine negative Konnotation an, scheinen sie in unserer digitalisierten und stets weiter optimierten Gesellschaft keinen Platz mehr zu haben. Sie sind ein Relikt aus der Frühzeit, sie sind der Wurmfortsatz, den eine so hochentwickelte, intelligente Spezies wie der Mensch nicht mehr zum Überleben braucht. Ein gravierender Fehlschluss, wenn ihr mich fragt.


Emotionen, das Bauchgefühl, die Intuition oder, wie immer man es nennen mag, sind genauso wichtig für ein erfülltes Leben wie der Verstand und die Vernunft. Nur in ihrer Kombination – der Kombination von unvernünftig und vernünftig – können wir wirklich unser Glück finden, denn Glücklichsein ist etwas, das wir fühlen und nicht denken. Verstand sichert unsere Existenz; Gefühl schafft Lebensqualität oder in einem kleinen prähistorischen Gleichnis ausgedrückt: Unsere kognitiven Fähigkeiten sorgen dafür, dass wir von keinem Säbelzahntiger gefressen werden und uns wehren können, unsere Emotionalität hingegen verhindert, dass wir uns ihm freiwillig zum Fraß vorwerfen, weil wir durch sie fähig sind, unser Leben genießen können.

Vernünftig-Unvernünftig-Sein ist demnach für mich der Schlüssel zum Glück. Kopf und Herz in Einklang bringen und sich der Grenzen des jeweiligen Bestandteiles des menschlichen Innenlebens bewusst sein – vor allem im Hinblick auf Situationen und Problemstellungen, die mit sehr viel Ungewissheit einhergehen. Der menschliche Verstand, so unfassbar leistungsfähig und beeindruckend er auch ist, kann z. B. nicht in die Zukunft schauen, er findet dort keine Gewissheit, keine Garantien. Das einzige, das uns in diesen Momenten bleibt, ist unser „unvernünftiges“ Bauchgefühl, welches manchmal mehr weiß, als das Gehirn erfassen kann. Sie sind somit eigentlich ein unschlagbares Team, ein echt erstklassiges Doppel, ein altes Ehepaar, das sich aus Gewohnheit streitet, aber auch immer wieder verträgt. Also gebt ihnen eine Chance und genießt das Leben, in der einen Hand einen Cocktail mit Wumms, in der anderen einen frischen Apfel und bleibt immer schön vernünftig unvernünftig!

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