Der innere Kritiker. Wir kennen ihn wohl alle. Er ist mal lauter und mal leiser. Trifft uns an manchen Tagen mit seiner meist unberechtigten Kritik härter als an anderen. Besonders gern echauffiert er sich in Situationen, an denen wir nichts (mehr) ändern können oder die uns eh schon schwer belasten. Er weiß es immer besser, er hätte es immer besser gemacht, er ist derjenige, der über alles Menschliche erhaben ist, weil er eben kein eigenständiger Mensch ist. Er wohnt in unserem Kopf, fernab von der Realität und unbehelligt von jeglicher äußeren erschwerenden Bedingung.
Unser innerer Kritiker kann von verschiedenster Gestalt sein: Er ist das Geschwisterkind, was scheinbar immer alles besser konnte, er ist das Elternteil, welches stets Bestleistungen von einem gefordert hat, er ist die Lehrkraft, die gesagt hat, man würde es eh zu nichts bringen, er ist die Leistungsgesellschaft, für die bloß der wirtschaftliche Output und Funktionalität zählen. Oder er ist Frau Sybille Cordula Schmitz-Schulze, für die Regelabweichungen und -brüche unverzeihlich sind.
Was all diese Ausformungen gemeinsam haben: Sie wollen uns eigentlich nichts Böses, sie meinen es gut, aber machen es schlecht. Sie wollen nur, dass wir erfolgreich sind in dem, was wir tun und spiegeln gleichzeitig unsere eigenen Anforderungen an uns selbst und die von außen wider. Sie wollen Antrieb sein, bremsen uns aber zumeist aus oder treiben uns zu ungesunden Höchstleistungen an, die das System am Ende kollabieren lassen. Und das alles nur, weil sie Angst vor Ablehnung, Abwertung und Versagen haben.
Unser innerer Kritiker oder auch die innere Kritikerin lässt meistens auch keine Gegenrede zu. Ist er oder sie einmal aktiviert, müssen sie sich erstmal auspowern, ihre Liste abarbeiten, die jeden einzelnen Fehler – manchmal auch die des ganzen Lebens – aufzählt. Es ist in solchen Momenten schwer, die Contenance zu bewahren, ihre Wutrede und ihr Gezeter auszuhalten, ohne den Mut zu verlieren und sich vom Strudel der Selbstzweifel mitreißen zu lassen. Das liegt u. a. auch daran, dass negative Kritik (denn ja, es gibt auch positive und die nennt man gemeinhin Lob) in unserer Gesellschaft als „konstruktiv“ gilt. Nur Beschwerden, Tadel und Bemäkelung lassen uns nach dieser Logik besser werden. Doch was ist, wenn wir nicht unbedingt und zwanghaft besser werden wollen? Dann haben wir versagt, sagt unser innerer Kritiker, dann haben wir unsere Lebensaufgabe nicht erfüllt, dann sind wir gar ein schlechter Mensch.
Und ja, uns das einzureden, schafft unser innerer Kritiker viel zu oft viel zu gut und ignoriert vollkommen die Tatsache, dass wir eben auch nur ein Mensch sind und zur Menschlichkeit gehören Fehler aller Art. Immer der oder die Beste zu sein, ist utopisch. Dass uns alles direkt beim ersten oder auch fünfzigsten Mal gelingt, ist unrealistisch. Dass wir immer mutig und freundlich, tapfer und gläubig sind, ist illusorisch und Gummibärenbanden-Disney-Musik. Und dass uns böse Kritik und Häme zu besseren Versionen unser selbst machen, ist vollkommener Schwachsinn.
Also hier, lieber innerer Kritiker, friss das! Friss diese Worte und mach‘ dich aus dem Staub. Beleg‘ einen Kurs zu Resozialisierung und lerne, konstruktiv zu kritisieren. Fang‘ doch mal an, zu loben statt zu tadeln. Erweitere deine Perspektive und urteile nicht ohne Kontext. Sei gnädiger mit uns, die wir doch alle jeden Tag unser Bestes geben, auch wenn unser Bestes für dich manchmal noch nicht im Ansatz gut genug ist. Und wenn du nichts Freundliches, Lobendes oder Tröstendes zu sagen hast, dann halte einfach auch mal deinen Mund.
Wir – und damit meine ich unser Ich – wissen nämlich genau, wenn wir etwas „falsch“ gemacht haben, dann musst du nicht auch noch Salz in die Wunde streuen, so kann sie nämlich nicht verheilen. Sie wird zu einer hässlichen Narbe, die immer wieder aufplatzt und uns daran hindert, „besser“ zu werden. Wir müssen uns nämlich dann immer wieder die gleiche Wunde lecken, was Zeit und Energie kostet. Zeit und Energie, die wir eigentlich auf so vielen Ebenen besser nutzen hätten können, als einfach nur verletzt dazuliegen und uns deine Hasstiraden anzuhören.
Also, lieber innerer Kritiker, nimm das! Nimm diese Kritik an, so wie du uns immer deine aufzwingen möchtest! Du willst sie nicht? Du findest wir sind gemein, wenn wir so mit dir reden? Du hättest lieber, dass wir dich in den Arm nehmen und sehen, dass du nur ein Bündel an Versagensängsten und der Frucht vor Abweisung bist?
Dann zeig‘ dich uns auf diese Weise. Versteck‘ dich nicht hinter einer wütenden Fassade und hinter dem Bildnis einer Person aus der Vergangenheit oder Gegenwart. Nimm‘ die Maske ab und wir nehmen dich mit offenen Armen auf, erkennen dich an und trösten dich. Denn du bist ein Teil von uns – von jedem von uns.
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