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AutorenbildJacqueline

Über die Gratwanderung zwischen Einsamkeit und Alleinsein (Lockdown-Edition)

Wir kennen es wohl mittlerweile fast alle, dieses Gefühl von einer inneren Leere. Einer Leere, die gerade nicht zu füllen ist. Wir werfen Dinge hinein, doch nichts ändert etwas. Wir hören nur das Echo vom Aufprall, kurz ist dort etwas, ein dumpfer Ton, und dann wieder nichts außer Leere.

Diese Leere, die uns langsam aushöhlt, unsere Haut immer dünner werden lässt – und das ist auch kein Wunder, vielmehr der logische Nebeneffekt, wenn man eben von etwas ausgehöhlt wird. Alles also rational erklärbar und doch können wir es kaum in Worte fassen. Und selbst das Wort „Leere“ an sich ist irgendwie schon paradox, weil sein Inhalt, seine Bedeutung, Inhaltslosigkeit ist.

Jene Leere fühlt sich oftmals bei mir auch an wie ein schwarzes Loch, ein schwarzes Loch wie man es aus dem Weltraum kennt. Es verschlingt nämlich alles in seiner Dunkelheit. In ihm verschwindet jegliches Licht wie im schwarzen Brackwasser eines Sumpfes. Es wird einfach verschluckt, einfach fortgesaugt wie ein Fussel im Staubsauger, als wäre es nichtig. Und zurückbleibt nur eine Erinnerung, die in wenigen Sekunden ebenfalls verschwunden ist. Widerstand ist zwecklos, ich fühle mich machtlos, das schwarze Loch erscheint alternativlos, die Welt trostlos.

Manche nennen dieses Gefühl Einsamkeit, eine Einsamkeit, die momentan um sich greift, weil wir alle in einer Ausnahmesituation leben. Unsere Kontakte sind eingeschränkt, wir arbeiten allein in unseren vier Wänden im Home-Office oder auch gar nicht. Wir treffen uns nicht mehr im Café, wir trinken kein Glas Wein mehr mit der besten Freundin, wir gehen nicht mehr zum Sport – wir sitzen einfach nur zuhause, zumeist alleine und wissen nicht, was wir mit der Zeit anfangen sollen.

War bereits vor einem Jahr der Grat zwischen Alleinsein und Einsamkeit sehr schmal, ist er jetzt noch schmaler. Während ich früher im Alleinsein meinen sicheren Hafen gefunden haben, wenn ich mal sozial ausgelaugt war oder mir alles zu viel, zu laut, zu schnell war – verfalle ich jetzt im Alleinsein immer öfter ins Einsamsein. Das weiche, warme Federbett meiner „Me-Time“, wird in letzter Zeit immer häufiger zum Nagelbrett mit tausenden Spitzen, die mir mein dickes Fell zerstechen und durch die Hautschichten bis in mein Herz vordringen. Das Resultat: Ich bin verletzlicher, sensibler, dünnhäutiger und gleichzeitig kritischer und weniger feinfühlig anderen, aber auch mir selbst gegenüber.

Ein kleiner Teufelskreis, den ich nur damit durchbrechen kann, dass ich ab und zu mal Inne halte und mir erlaube, gerade so zu fühlen, wie ich fühle und nicht so streng mit mir (wie auch mit anderen) zu sein. Wir alle machen das gerade zusammen durch, keiner kann sich von der aktuellen Situation freisprechen, es gibt niemanden – auch wenn manche so tun, als ob –, der von dem Lockdown und der Pandemie unbeeinflusst bleibt. Wir sitzen alle im gleichen Boot, wir alle haben eine gewisse Angst davor zu kentern – u. a. auch weil manche in diesem Boot mitten auf hoher See sich nicht an die Benimmregeln halten wollen und es immer wieder gefährlich zum Schwanken bringen.

So sind wir also irgendwie alle ein bisschen zusammen einsam, zusammen unsicher, wie es weitergeht und zusammen ein bisschen dünnhäutiger und das ist auch okay so. Nur erkennen wir das nicht immer an, denn wir (und d. h. auch ich) lassen uns manchmal von einem Trugschluss hinreißen, der uns an der Berechtigung unserer Gefühle zweifeln lässt. Denn nur weil es rational leicht verstehbar ist, dass die derzeitigen Ein- und Beschränkungen sinnvoll und notwendig sind, heißt dies noch lange nicht, dass es für uns selbst einfach ist, mit den Folgen davon zu leben. Wir probieren jedoch, weiterhin zu funktionieren wie vorher, alles beiseite zu schieben, was uns daran hindern mag und damit auch immer noch unsinnige, gesellschaftliche Konventionen und Erwartungen zu erfüllen. Dabei blenden wir gerne aus, dass jene funktionierende Maschine, die wir gerade versuchen, zu imitieren, mitten in einer brennenden Fabrik steht. Die Hitze lässt bereits das ein oder andere Teil schmelzen und das Betriebssystem ausfallen. Dass da nicht mehr alles funktioniert, wie es sollte, ist klar und deshalb muss auch keiner momentan „funktionieren“ wie sonst. Es ist wichtig, sich aufzuzeigen, was auch im außen gerade auf einen einprasselt, bevor wir direkt bei uns selbst nach dem Fehler suchen.

Denn sind wir mal ehrlich zu uns, sollte uns einleuchten, dass wir gerade nicht vollkommen ausbalanciert sein, dass wir nicht friedlich in unserer Mitte ruhen und dass wir uns nicht komplett im Zenmodus befinden können. Uns ist einfach momentan ein wichtiges Gegengewicht genommen worden, mit dem wir in der Vergangenheit vieles wieder austarieren konnten. Wir tanzen einfach momentan auf einem Seil – in der einen Hand eine bis auf den letzten Tropfen geleerte Wasserflasche, in der anderen einen 5l Eimer mit schwarzem Brackwasser. Dass wir da auch mal daneben treten, uns einsam fühlen, sensibler und vielleicht kritischer sind, ist also vollkommen normal und berechtigt.

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