Leute, es ist nicht immer einfach, mit einer chronischen Krankheit zu leben. Ich selbst bin die ersten Wochen nach meiner Lipödem-Diagnose kläglichst daran gescheitert. Und das, obwohl ich stets versuche, meinen Frieden mit meinem Körper, der macht, was er will, zu finden und beizubehalten.
Aber dieses ganze Lipödem-Ding hat mich echt hart gekickt, was ich selbst nicht erwartet hätte. Immerhin war die Diagnose „Endometriose“ eher für mich eine Befreiung, eine Erlösung gewesen. Ich wusste endlich, was „falsch“ in mir lief. Nach den beiden OPs, die ja relativ schnell daraufgefolgt sind, fühlte ich mich, als würde mein Leben neu beginnen. Ich hatte ein echtes Hoch und das Gefühl, die Welt erobern zu können. Die Ernüchterung kam dann halt später, als ich merkte, dass die Schmerzen nicht besser wurden, mich immer noch die übelsten Krämpfe plagten und es keinen Frieden im Erdbeerfeld gab. Aber das wisst ihr ja schon.
Nichtsdestotrotz hatte ich irgendwie jene Hochstimmung auch nach meiner Lipödem-Diagnose erwartet. Ich war davon ausgegangen, dass ich jetzt mit meinen Beschwerden und dem äußeren Erscheinungsbild meiner Oberschenkel besser leben könnte. Ein bisschen so nach dem Motto „Ich bin nicht ‚dick‘, sondern krank!“.
Doch ganz im Gegenteil – nachdem mir mein Verdacht bestätigt worden war, konnte ich mich sicher einen Monat lang nicht im Spiegel anschauen. Jede Delle in meinen Oberschenkeln wuchs auf die Größe eines Mondkraters an und ich war der festen Überzeugung, dass Neil Amstrong auch hier perfekt die Landung auf dem Erdtrabanten hätte inszenieren können. Zusätzlich wog jedes Gramm krankes Fett, das sich dort angesammelte hatte, plötzlich einen Zentner, der mein Selbstwertgefühl trotz der Aura lunarer Schwerelosigkeit mit sich in die Tiefe zog.
Ich will euch das jetzt nicht erzählen, weil ich Mitleid erregen möchte. Ich erzähle euch das, um zu zeigen, dass es auch für mich nicht immer einfach ist. Zwar bin ich immer noch der Meinung, dass eine gewisse Positivität und eine gute Portion Enthusiasmus bei einer chronischen Krankheit wichtig, aber nicht immer realisierbar sind. Außerdem ist es auch irgendwie „normal“, nicht alles immer stoisch hinzunehmen und von Anfang an das Beste aus einer – gelinde gesagt – suboptimalen Situation machen zu können. Lächeln und Winken ist also nicht immer die Lösung und das musste auch ich für mich erkennen.
Doch nicht nur, die Optik meines Körpers ließ mich für einige Tage und Wochen meinen Optimismus verlieren, sondern auch die Beschwerden. Gefühlt waren diese kurz nach der Diagnose schlimmer als zuvor. Im Nachhinein wundert mich das auch nicht, denn es war das gleiche Dilemma, welches ausgelöst wird, wenn jemand sagt: „Denk nicht an einen rosa Elefanten!“. Gefühlt dachte ich 24/7 nur an mein Lipödem und scannte meinen Körper nach Beschwerden ab, die damit zusammenhingen. In dieser Zeit, kann ich nun retroperspektiv sagen, definierte ich mich über diese Diagnose, ich lebte nicht mit ihr, ich lebte in ihr.
Den Moment, als alles wieder besser wurde, kann ich euch nicht genau nennen. Irgendwann war das Gefühl einfach weg und wenn ich in den Spiegel guckte, sah ich wieder mich und nicht nur das Lipödem. „Das ist doch auch nicht schwer“, wird jetzt vielleicht der ein oder andere sagen, „bei dir ist es doch auch gar nicht so schlimm!“, darauf antworte ich nur: „Doch, weil es mein Körper ist!“.
Und weil es mein Körper ist, zählt auch nichts, was andere sagen – im Positiven wie im Negativen. Wenn ich gerade unzufrieden bin, wenn ich gerade mit dem Bild im Spiegel auf Kriegsfuß stehe, dann ist das so. Da ändert sich auch nichts dran, wenn mir andere Leute sagen, dass alles doch nur halb so wild ist. Nur wenn ich meine innere Einstellung ändere, dann ändert sich wirklich was.
Und tatsächlich wendete sich alles zum Guten. Irgendwann war der Punkt erreicht, an dem ich nicht mehr Tag und Nacht darüber nachdachte, dass ich ein Lipödem und dellige, stabile Oberschenkel habe. Andere Dinge wurden zu Recht wieder wichtiger, mein Fokus wanderte von meinem Körper wieder zu meiner Einkaufsliste (oder was sonst gerade akut-relevant war) und das ganze Lipödem-Ding rückte in den Hintergrund oder besser gesagt, ins periphere Sichtfeld.
Natürlich – und das gebe ich hier offen und ehrlich zu – habe ich immer noch Momente, in denen ich meine Oberschenkel zu dick und nicht straff genug finde. Ich hadere auch immer noch damit, eine kurze Hose oder einen Bikini anzuziehen, aber ich tu’s jetzt einfach, auch wenn ich mich noch nicht 100%ig wieder wohl damit fühle.
Aber ich habe den Weg zurück zu mehr Akzeptanz meinem Körper gegenüber gefunden, auch wenn diese Reise noch lange nicht abgeschlossen ist. Ich bin eh der Meinung, dass dies ein immerwährender Prozess ist, weil der Körper sich auch immerwährend verändert. Aber ich habe eine gewisse, liebevollere Basis wiedergefunden, die mir einfach die Zeit zum Geschenk gemacht hat. Ein Geschenk, das ich gerne angenommen habe und von nun an hoffentlich auch stets in Ehren halten kann. Und wieder mal beweist sich das alte Sprichwort: „Zeit heilt alle bzw. viele Wunden.“
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