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#chronicalme: Über Körperbild und Schönheitswahn

Sommer wird uns immer als Zeit der Leichtigkeit, der Unbeschwertheit und der Lebensfreude präsentiert. Das Herz soll bei den ersten Sonnenstrahlen aufgehen, die Wärme eines Julitags in unsere Knochen und unser Herz fahren, wir sollen uns in luftige Sommerkleidchen und Hotpants werfen und uns einfach wohlfühlen. Sommer ist damit für viele die tollste Zeit im Jahr und das will ich denjenigen auch gar nicht kaputt machen, die so empfinden. Aber es gibt Menschen, die fühlen das nicht so – und zu diesen Menschen gehöre ich.


Luftige Sommerkleidchen ohne Strumpfhosen und Hotpants lassen mich innerlich trotz 30 Grad im Außen erschaudern. Und ich denke, das geht nicht nur mir so – alle, die Unsicherheit und Unzufriedenheit in Bezug auf ihren Körper verspüren, können das wohl nachvollziehen. Insbesondere die Tatsache, dass ich an einem Lipödem leide und meine Beine daher weder straff, sportlich noch schlank sind, lassen mich mit einem mulmigen Gefühl zurück, wenn es darum geht, mich „wetteradäquat“ zu kleiden.

Meine Cellulite, die „Reithosen“ an den Oberschenkeln und ihr Umfang führen dazu, dass ich jedes Mal überlege, ob ich dieses Outfit tragen „kann“. Im Sommer ist diese Stimme in meinem Kopf, die relativ uncharmant zu mir spricht, an manchen Tagen besonders laut. Wenn ich kurze Klamotten trage, ist es häufig eine Überwindung und all die bösen Worte, die ich je zu meiner Figur gehört habe, erhöhen mein Gewicht um mindestens 10kg. Ob es Sprüche waren wie „Also mit deinen Oberschenkeln würde ich das ja nicht tragen!“ oder ganz klar heraus gesagte Sätze wie „Du bist zu dick, du musst dringend abnehmen“, all diese Aussagen haben ein gewisses Gewicht, dass insbesondere in dieser Jahreszeit mir auf der Seele lastet. Und ich glaube, damit bin ich nicht allein.




Bodypositivity ist ein schönes Schlagwort, welches in den Medien inflationär genutzt wird. Finde dich schön, genauso wie du bist und schere dich nicht drum, was die anderen sagen. Das ist nett gedacht, aber in unserer Gesellschaft, in der wir aktuell noch leben, kaum umzusetzen. Auch wenn in der Werbung mittlerweile nicht nur Size-Zero-Girls Rasierer und Klamotten verkaufen, sorgt das nicht unbedingt dafür, dass ich mich besser fühle. Ganz im Gegenteil: Die Curvy-Models, die in den Werbungen gezeigt werden, stehen für mich irgendwie für eine gezwungene Integration von Body-Types – so nach dem Motto: Wir müssen jetzt auch an die Frauen und Mädchen mit mehr Kilos denken, sonst ist das schlecht fürs Image. Also lassen wir auch noch eine Frau mit Kurven durchs Bild hüpfen, damit ist das Problem gelöst.


Für mich löst das kein Problem, vor allem weil die Curvy-Models trotz ihrer paar Pfunde mehr unrealistisch perfekt sind. Sie haben etwas mehr Oberschenkel, aber keine Cellulite und straff sind sie dabei auch noch. Die Haut sieht ebenmäßig und perfekt aus und nicht wie bei mir durchzogen von kleinen Äderchen und übersät mit Dellen – Lipödem-Symptome at their best! Das setzt mich gefühlt zusätzlich unter Druck, ich entspreche nicht dem schlanken Idealbild und selbst die Alternative, die mir notgedrungen und mit wenig Überzeugung gezeigt wird, entspricht in keinster Weise meiner Realität, wenn ich in den Spiegel schaue. Also gehöre ich weder zu den schlanken, noch zu den Curvy-Models und falle damit wieder aus dem Schönheitsraster.

Ich weiß, dass Photoshop, Licht und sonstige Tricks fast 90 Prozent dessen, was wir sehen, regeln. Ich weiß, dass ich mich für meinen Körper nicht schämen muss. Ich weiß, dass ich nicht Schuld daran bin, dass meine Beine aussehen, wie sie aussehen.


Trotzdem würde ich manchmal einfach gerne mit einem Schild durch die Straßen laufen, wenn ich kurze Hosen, Röcke oder Kleider trage, mit der Aufschrift: „Ich kann nichts dafür, ich habe ein Lipödem.“ Und ich weiß, dass ich mich auch nicht dafür rechtfertigen muss, dass mein Körper eben nicht „perfekt“ ist und trotzdem würde ich es an manchen Tagen gerne tun.

Vor allem wenn ich an diese eine Situation zurückdenke, die mich wirklich sehr schockiert und sich in mein Gedächtnis eingebrannt hat wie ein Brandzeichen: Ich war hier in Aachen unterwegs, vor so ca. 3 Jahren. Ich trug eine kurze Hose, war damals sogar noch ein bisschen schlanker als heute und eine junge Frau ging an mir vorbei. Während sie das tat, sagte sie laut hörbar: „Schwabbel, Schwabbel, Ihhh“. In dieser Situation war ich kurz davor in Tränen auszubrechen, damals hatte ich auch noch nicht die Diagnose Lipödem und habe mir selbst die „Schuld“ an meinem Erscheinungsbild gegeben. Genau diese Worte, genau diese Situation lebt in meinem Gehirn z. B. immer noch fort und sorgt dafür, dass ich an manchen Tagen einfach nicht den Mut habe, zu kurzen Klamotten zu greifen.


Aber warum erzähle ich euch das heute alles? Warum gebe ich euch diesen Einblick in mein Innerstes, das man eigentlich lieber kaschiert, als nach Außen trägt? – Die Antwort ist einfach: Ich finde es wichtig, auch Unsicherheiten zu teilen und damit zu zeigen, dass wir alle diese haben. Sie sind unterschiedlicher Art, unterschiedlicher Ausprägung, unterschiedlicher Stärke – aber sie existieren in jedem von uns. Sie werden gefüttert, durch Worte und Taten anderer, durch Bilder, die wir sehen, und durch unsere Selbstwahrnehmung. Deshalb möchte ich auch noch eines betonen: „Denkt vielleicht kurz nach, wählte Worte weise – egal, ob ihr mit euch selbst sprecht oder mit jemand anderem!“. Worte, Taten und Bilder haben große Macht – in beide Richtungen, positiv wie negativ. Sie können aufbauen und zerstören, heilen und verwunden. Bei mir sind manche Wunden noch tiefer, als ich manchmal zugeben möchte. Aber zur Heilung gehört dazu, darüber zu reden und das habe ich hiermit getan.

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