Darf ich vorstellen? Das ist Fear-vor-Zwölf, auch bekannt unter Torschlusspanik oder (hoffentlich) verfrühter Midlife-Crisis. Genau diese Dame mit der großen Taschenuhr, die der des weißen Kaninchens aus Alice im Wunderland ähnelt, spazierte vor ungefähr anderthalb Monaten in die heiligen Hallen meiner mentalen Höllen-WG und das mit dem Ziel, sich häusliche niederzulassen. Positiv ausgedrückt hat sich Fear-vor-Zwölf sehr schnell und sehr gut eingelebt. Lässt man aber mein kleines Ich zu Wort kommen, klingt es wie folgt: „Sie hat noch niemals geklopft, sie hat einfach die Tür aufgemacht, keinen höflichen Moment auf der Schwelle gewartet, um herein gebeten zu werden, sondern ist direkt durch den Raum gestürmt. Auf mich zu, wie ich da in meinem Sessel saß, ganz gemütlich, wie immer und eine Tasse Tee getrunken habe.“ Mein kleines Ich schnieft einmal kurz, bis es mit seiner Beschreibung fortfährt: „Dann hat sie den Sessel angehoben, ich bin rausgefallen, und daraufhin hat sie sich selbst hineingesetzt. Und sie hat auch meinen Tee ausgetrunken – bis auf den letzten Tropfen. Noch niemals einen Höflichkeitsschluck mehr drin gelassen!“.
Eine gewisse Empörung schwingt in seinen Worten mit, jedoch überwiegt der Unglaube darüber, wie sowas überhaupt passieren konnte. Ebenfalls Protest erhob wenig später auch das ES, nachdem sich Fear-vor-Zwölf auf ein „vertrauliches Gespräch unter vier Augen“ in seine Höhle gewagt hatte – natürlich mit dem Sessel des Ichs und einer Kanne Tee im Schlepptau. „Sie hat mich ganz komische Dinge gefragt“, berichtete das ES nach dem unerwarteten Besuch. „Richtigen Schweinskram“, das ES schaudert noch Heute bei dem Gedanken daran. Fast erregte es Mitleid bei meinem kleinen Ich, so mitgenommen sieht es in diesem Moment aus.
Auch Frau Sybille Cordula Schmitz-Schulze fand keinen Gefallen an dem Verhalten von Fear-vor-Zwölf. „Eine ganz grässliche Person“, meint sie und schiebt sich ihre Brille auf der spitzen Nase zurecht, „Kam einfach hier hereingeschneit, dabei weiß man doch, wenn man jemanden besuchen möchte, dann fragt man vorher an.“ „Dafür hat sie ganz andere Dinge gefragt“, wirft mein Ich ein, „Sie wollte nicht von mir wissen, ob ich Kinder haben wolle, sondern nur wann. Außerdem hat sie mir gesagt, dass mir gar nicht mehr viel Zeit bliebe und mein Leben verloren wäre, wenn ich nicht Mutter werden wolle. Ich sei dann keine richtige Frau und eine selbstsüchtige, frigide…“. Mein Ich kann nicht weitersprechen, Tränen steigen ihm in die Augen – es konnte noch nie gut, mit Wut umgehen.
„Die ist blöööööd“, ruft es nur aus der Höhle nebenan und der Umlaut hallt noch lange nach. „Nur, weil für andere der Grundsatz gilt: Wenn ich Ende Zwanzig/ Anfang Dreißig bin, dann möchte ich Haus, Kinder, Familie, heißt das ja noch lange nicht, dass wir das auch wollen. Wenn man solche Gelüste nun mal nicht hat, dann kann man sie auch nicht erzwingen“, stellt Sybille Cordula Schmitz-Schulze daraufhin klar und strafft nochmal ihre Schultern, „Und da hilft es auch nicht, mir irgendwelche neuen Dokumente mit eben solchen Wenn-Dann-Regelungen unterzujubeln. Da hat sich diese Person geschnitten. Nicht mit mir, ich weiß, was in meine Ordner gehört, ich erkenne eine fremde Handschrift.“
Während Frau Sybille Cordula Schmitz-Schulze also das Auftauchen von Fear-vor-Zwölf vor allem als Angriff auf ihre Kompetenz als ausgebildete Fachkraft des Wenn-Dann-Ordnungen-Abhefte-Wesens wahrgenommen hat, litt mein kleines Ich doch noch ein bisschen anders. „Ich konnte nicht mal richtig schlafen“, klagt es, „nachts stand sie immer an meinem Bett, das Ticken ihrer überdimensionalen Uhr kriege ich immer noch nicht aus meinem Kopf!“. „Und das ist noch niemals alles“, fährt es fort, „Sie hat mirdann auch noch so komische Sachen ins Ohr geflüstert wie: ‚Was ist eigentlich falsch mit dir? Ende Zwanzig und Single? Will dich etwa niemand? Und versteckst du etwa du deine persönliche Insuffizienz als Partnerin für Leben nur hinter der Lüge, dass du keine Kinder willst?‘. Es war grauenhaft.“
„Deshalb blieb uns keine andere Wahl. Wenn Unordnung entsteht, muss die Quelle gefunden und eliminiert werden“, Frau Sybille Cordula Schmitz-Schulze hüstelte leicht. „Da haben wir einfach BUMM-BUMM gemacht“, kommt es unterstützend aus der Höhle, „BUMM-BUMM, dumme Kuh“. „…wir hätten vielleicht etwas weniger grob sein sollen…“, wirft an dieser Stelle mein Ich wieder ein, „wir waren…“. „Wir waren so diplomatisch, wie wir sein konnten“, unterbricht es daraufhin die Frau mit dem komplizierten Doppelnamen und kickt mit ihren Pumps ganz nebenbei einen vollkommen zerbeulten Uhrzeiger unter den Sessel meines kleinen Ichs, „Wenn wir Entscheidungen reflektiert getroffen und nicht übers Knie gebrochen haben – also dem Schmitz-Schulze weg gefolgt sind, dann hat niemand diese anzuzweifeln. Wenn dies doch getan wird, dann…“. „Dann passieren Dinge, die eben passieren müssen!“, vollendet nun mein Ich ihren Satz und ein seltener Ausdruck spiegelt sich in seinen Augen. Es ist stolz auf sich. Es ist stolz auf seine Mitbewohnerinnen. Alles ist richtig so, wie es ist. Daran kann auch Fear-Vor-Zwölf nichts mehr ändern, selbst, wenn sie’s gewollt hätte.
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