Und manchmal ist es, als ob eine LKW-Ladung Gefühle, Gedanken und Reize auf mich niederprasselt. Ich kann mich nicht bewegen, nicht zur Seite springen, all dem nichts entgegensetzen. Hilflos bin ich dem ausgeliefert, was um mich herum geschieht. Wie ein Schwamm nehme ich die Emotionen auf, die im Raum herumtanzen: offene Freude, fröhliche Ausgelassenheit, unterdrückte Tränen, passives Aggressionspotenzial. Und dann auch noch laute Musik, von allen Seiten Gesprächsfetzen, vielleicht auch noch irgendwo ein flackerndes Licht und ich in der Mitte, in der Mitte dieses Lärms, der Energieströme, der Bewegung, hinabgerissen von ihrem Strudel und all dem irgendwie ausgeliefert.
Was ich hier beschreibe, nennen andere wohl „Party“ oder „eine gute Zeit mit Freunden haben“, für mich ist dies aber manchmal einfach nur anstrengend und auslaugend. Es zieht mir Kraft und lässt in mir auch noch einen Tag später ein Rauschen zurück, welches meinen ganzen Körper unruhig durchströmt. Noch vor ein paar Monaten hätte ich diese Gefühle heruntergeschluckt bzw. versucht, sie herunterzuschlucken, denn sie steckten immer wieder wie eine viel zu große Tablette in meinem Hals fest.
Mittlerweile arbeite ich daran, diesen Teil von mir zu akzeptieren, ihn nicht als Makel zu stigmatisieren, ihn nicht als „verbesserungswürdig“ anzusehen, sondern ihn Teil meines Charakters sein zu lassen. Dieser Wesenszug hat sogar einen Namen und mit ihm bin ich nicht allein; Hochsensibilität zeichnet zwanzig bis dreißig Prozent der Menschheit aus und ist Segen und Fluch zugleich.
Personen wie ich, die hochsensibel sind, erkennt man vor allem daran, dass sie besonders empfänglich und daher auch sehr empfindlich für Reize aller Art sind. Ob es nun sensitive Stimulationen wie Licht, Gerüche oder Geräusche sind oder auch emotionale Zustände wie Trauer, Freude, Wut bei sich oder anderen – all diese kommen ungefiltert und vor allem undosiert im körpereigenen Nervenzentrum an. Zu den Folgen zählen schnelle Überforderung, körperliche Anspannung und ein gewisser Fluchtreflex bzw. eine präventive Vermeidungshaltung.
Ich kenne all das nur zu gut und habe mit lange selbst Vorwürfe gemacht, dass ich in gewisser Weise „asozial“ wäre, da ich nicht gerne in großen Gruppen unterwegs bin und ich auch es liebe, Zeit allein zu verbringen – z. T. manchmal sogar zwei bis drei Tage, an denen ich mit niemandem großartig interagieren muss. Ich fühle mich dann nicht einsam, ich genieße vielmehr die Freiheit, mir den Tag so einzuteilen, wie ich das möchte – ganz auf meine Bedürfnisse ausgerichtet – und mich mit niemandem anderen als mir selbst beschäftigen zu müssen.
D. h. nicht, dass ich zwischenmenschlichen Kontakt in keinster Weise brauche oder mir dieser nichts bedeutet. Ganz im Gegenteil: Meine Freundschaften und auch meine Partnerschaft sind wichtige Grundsäulen meines Lebens, ich bin gerne für andere da und habe stets ein offenes Ohr für Menschen, die mir wichtig sind. Aber sollen diese Menschen bitte nicht alle auf einmal vor meiner Haustür stehen! Lieber mögen sie einzeln eintreten und mir zwischendurch Verschnaufpausen gönnen. Die brauche ich nämlich, um all die Eindrücke verarbeiten zu können, bevor sie sich anhäufen und mich ersticken.
Das ist übrigens auch recht typisch für hochsensible Personen: Durch ihre fehlenden Reizfilter leeren sich ihre sozialen Batterien schneller als bei Menschen, die in dieser Hinsicht „resistenter“ sind. Sie können nämlich nichts wirklich ausblenden, nehmen alles zur gleichen Zeit wahr und werden dann von all dem schnell überrollt. Dennoch kann man von Hochsensibilität auch stark profitieren; durch die oftmals negativ konnotierte „Dünnhäutigkeit“, welche Hochsensible an den Tag legen, besitzen sie meistens eine gute Menschenkenntnis, können manchmal sogar Dinge sehen, die das Gegenüber eigentlich verstecken will und sind besonders empathisch und mitfühlend. Insbesondere letzteres fühle ich sehr – wenn es Menschen, mit denen ich viel Kontakt habe, schlecht geht, wirkt sich das auch auf meinen Gemütszustand aus. Das sorgt natürlich einerseits dafür, dass es auch mir nicht mehr super gut geht, jedoch generiere ich dadurch ein tieferes Verständnis ihrer Situation. Das führt dazu, dass ich (in meiner eigenen Wahrnehmung) schneller herausfinden kann, was sie wirklich brauchen und welche Form von Unterstützung am effektivsten ist.
Aber nicht nur negative Gefühle sind für Hochsensible ansteckender, auch positive! Denn im Allgemeinen verspüren hochsensible Personen jegliche Emotion besonders stark. Ich kenne das nur zu gut; meine Tiefs sind teilweise bodenlos, aber meine Hochs dafür umso intensiver. Ich erinnere mich nur allzu gerne an den Moment zurück, als ich letztes Jahr zum ersten Mal im Phantasialand war und ich vollkommen fertig vor Glückseligkeit irgendwo zwischen Lachen und Weinen stand, weil ich alles so atmosphärisch fand. Es war fast schon eine kindliche Freude voller Naivität und Im-Moment-Sein, die mich in diesem Moment durchströmte und ein Prickeln in meinem ganzen Körper ausgelöst hat. Es war einfach phantastisch!
Wie alles hat eben auch Hochsensibilität ihre zwei Seiten der Medaille, aber wiegt diese Medaille an sich schon manchmal recht schwer – vor allem in Umgebungen oder Situationen, in denen man diese nicht offen kommunizieren kann oder will oder einfach das Verständnis fehlt. Zählt ein solcher Charakterzug doch nicht zu etwas „Erstrebenswertem“ in unserer Leistungsgesellschaft und bremst einen dieser im vorhandenen System auch manchmal aus. Dennoch ist Hochsensibilität nichts, was man abtrainieren kann oder um jeden Preis verstecken sollte – vielmehr geht es darum, sich selbst so zu akzeptieren, wie man ist und achtsam mit der eigenen Empfindsamkeit umzugehen, um die Stärken ausspielen zu können, die einem Hochsensibilität verleiht.
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