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In Zukunft "Frau Doktor", bitte - Die Wahrheit übers Promovieren

Hätte man mich vor zehn Jahren gefragt, ob ich jemals promovieren würde, hätte ich geantwortet: „Wenn ich einen Doktor haben will, dann heirate ich einen.“ Auch nach fünfeinhalb Jahren Studium und mit Mitte 20 wollte ich keine Uni mehr von innen sehen. Ich war zu diesem Zeitpunkt einfach durch damit, Hausarbeiten zu schreiben, Vorträge zu halten und sich immer neues Wissen anzueignen. Und jetzt schaut mich an: Fast 28 Jahre alt und seit fast zwei Jahren nenne ich das historische Institut einer renommierten technischen Hochschule meinen Arbeitsplatz. Ich bin genau da gelandet, wo ich doch mit aller Kraft weg- bzw. nie wieder hinwollte.


Ich fühlte mich doch nach dem Abi und sogar nach meinem Lehramtsstudium zu „Höherem“ berufen. Ich wollte alternativ und kreativ sein oder ums anders auszudrücken „etwas mit Medien machen“ damit und auf einer ziemlichen Mainstreamwelle reiten. Tatsächlich habe ich das dann ja auch ein Jahr lang gemacht, aber erfüllt hat es mich nicht so wirklich. Sonst wäre ich ja jetzt nicht wieder an der Uni und würde mich „Wissenschaftliche Mitarbeiterin“ und „Promotionsstudentin“ nennen.

Ein Job und ein Berufsweg, die ich niemals so wirklich auf dem Schirm hatte. Ich war immer schon wissenschaftlich interessiert, aber es war mir unvorstellbar, dass ich das mal zu meinem Beruf machen würde. Und tatsächlich würde ich auch nicht sagen, dass das mein Beruf ist, sondern mittlerweile vielmehr, dass es sich hierbei irgendwie um eine Berufung handelt. Ich bin ein Nerd, der seine Leidenschaft für Geschichte und vor allem das Mittelalter zum Beruf gemacht hat. Diese Chance, etwas zu tun, was mir liegt und Freude bereitet, bedeutet mir unglaublich viel. Ich wünschte, ein jeder könnte solch einen beruflichen Weg einschlagen, ein jeder könnte genauso in seinen Talenten und Interessen gefördert werden, wie es mir zuteilwird. Dafür bin ich unglaublich dankbar.

Denn „mehr“ meint promovieren auch gar nicht. Es heißt nicht, dass ich voll das Super-Brain bin und ein wandelndes historisches Lexikon, wovon manche Menschen ausgehen. Schon so oft wurde ich daraufhin, dass ich offengelegt habe, dass ich meinen Doktor mache, mit den unterschiedlichsten Fragen bombardiert, u. a. auch medizinischen. Deshalb hier an dieser Stelle nochmal der Hinweis: Wie in fast jeder Berufssparte bin auch ich eine „Fachidiotin“. Das trifft sicherlich nicht auf alle Promivierenden zu, aber bei mir ist das so. Man entwickelt im Zusammenhang mit seiner Promotion eine Art Tunnelblick, weshalb es auch so wichtig ist, dass man auf Tagungen und auch bei Kolloquien mal Einblicke in andere Forschungsprojekte bekommt. Aber grundsätzlich beschäftige ich mich Tag ein Tag aus eigentlich primär mit dem europäischen Spätmittelalter, der Rolle der (armen) Frau in dieser Zeit und der damaligen „Arbeitsverfassung“ – einfach, weil genau das die Bestandteile sind, zu denen ich aktiv forsche.


Und ja, ich scherze gerne, dass ich mit toten Menschen arbeite. Das ist auch irgendwie so mein Einstieg in jedes Gespräch über meine berufliche Tätigkeit. Ich mache das zumeist, um den Leuten den vollkommen unbegründeten Respekt zu nehmen, den sie teilweise ans Licht bringen, wenn ich sage, dass ich an meiner Doktorarbeit schreibe. Und auch hier nochmal etwas, das mir ganz wichtig ist, klarzustellen: Meine Arbeit ist in keinster Weise wichtiger oder anspruchsvoller als andere Berufe. Um’s mal ganz deutlich zu sagen: Ich kann eben vor allem gut wissenschaftlich arbeiten und wissenschaftliche Texte verfassen – das ist alles. Andere Menschen in anderen Berufen können andere Dinge sehr gut, die ich nicht kann. Meine Berufswahl hat also nichts damit zu tun, dass ich mich irgendwie hervortun möchte oder herausragend bin, sondern ist ein ganz logisches Produkt, wenn man auf meine Begabungen und Interessen schaut.


Die Frage, die mir aber am meisten Unbehagen bereitet, und die ich auch oft gestellt bekommen, wenn ich über meinen Beruf rede, ist: „Und danach? Was machst du, wenn du deine Promotion hast?“. – „Dann lasse ich meinen nigelnagelneuen Doktortitel in die Adresszeile eintragen!“. Ja, darauf habe ich bis jetzt noch keine genaue Antwort. Ich habe Träume, Vorstellungen, Wünsche, aber nichts Konkretes. Augenblicklich lebe ich einfach noch im Moment, und im Moment ist echt viel zu tun. Neben dem Forschen habe ich ja auch noch einen Lehrauftrag, organisiere und besuche Tagungen und lese massig an Büchern. Für manche wäre das der totale Horror, aber ich lieb’s. Auch wenn ich natürlich an mancher Stelle struggle, z. B. als ich meinen ersten offiziellen Vortrag auf Englisch halten oder als ich das erste Mal eine spätmittelalterliche Handschrift entziffern musste (was auch heute manchmal noch mit gewissen Unsicherheiten und einer latenten Planlosigkeit geschieht). Aber an all dem wachse ich auch extrem. Und wenn es nur ist, dass ich letzte Woche das erste Mal „alleine“ auf Reisen war, um das Nürnberger Stadtarchiv zu besuchen. All diese Herausforderungen beruflicher Natur sorgen ebenfalls dafür, dass ich mich persönlich weiterentwickle zu einer selbständigen, jungen Frau, die ich immer sein wollte. Und auch an dieser Stelle kann ich nur wieder betonen, wie dankbar ich für diese Chance und mein aktuelles Leben bin.


Ich bin happy, auch wenn ich vor einem Jahrzehnt niemals gedacht hätte, dass so ein Leben das in mir auslösen könnte. Ein Leben, was daraus besteht, irgendwie weiter zu studieren, „Hausarbeiten“ zu schreiben und Bücher zu wälzen. Und das ist auch vollkommen okay so, immerhin habe ich damals auch gedacht, ich renne mit Ende zwanzig im Dauerstress in einem grauen Hosenanzug durch irgendein Büro und habe keinen Spaß mehr am Leben. Die Wege, die man nimmt, die Entscheidungen, die man trifft, sind manchmal einfach unvorhersehbar und das gibt ihnen das Potenzial, das man manche Dinge einfach nicht „zu früh“ entscheiden muss – ein Gegenbeispiel ist wie ich mit 14 Jahren meine Leistungskurse fürs Abi wählen musste. Das Leben hat in mancher Hinsicht eine gewisse Schnelligkeit, aber an mancher Stelle scheint es, auf einen zu warten und einen vielleicht auch erstmal, machen zu lassen, um dann mit etwas Großartigem um die Ecke zu kommen.

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