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AutorenbildJacqueline

#kri-me: Ein Germanisten-Krimi Kapitel 3

Sie fand keine Ruhe, es war halb sechs, draußen war alles schon dunkel und es regnete feinen Nieselregen. Sie ging rastlos in ihrer Wohnung umher, die Waschmaschine war das einzige Geräusch, was sie wahrnahm, als sie wie alle 10 Sekunden angestrengt lauschte. Immer wieder meinte sie Schritte auf der Treppe zu hören, SEINE Schritte, aber immer wieder war es nur das Rumpeln der Waschmaschine in der Küche, In dieser drehte sich gerade Runde um Runde ihre Jeans, auf die sie sich – dank ihrer unentwegt zitternden Hände – auf der Arbeit, kurz nach dem Empfang der Mail von Herrn Schmidt ihre dritte Tasse Kaffee gekippt hatte. Immer wieder ging sie rastlos umher; ihr Kopf war voll und gleichzeitig leer. Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen und so war es nun ihr Herz, das ihr den einen Rat aussprach: „Du musst etwas tun!“. Ja, das musste sie. Sie musste irgendetwas tun … gegen diese Angst … gegen das dauernde Erschrecken … gegen das Lauschen … gegen die Ungewissheit … irgendetwas gegen IHN. Denn wenn das stimmte, was in der Nachricht angedeutet war, dann war nicht nur sie in Gefahr und ER, das wusste sie, war nicht zu unterschätzen. Wenn ER sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war es schwer, IHN davon abzubringen. Also holte sie tief Luft und fasste einen Entschluss, woraufhin sie in den Flur eilte, ihre Jacke überstreifte, den Zettel mit den blutroten Buchstaben hervorholte und das Haus verließ. Sie hatte Angst, um sich, aber auch um die andere Person, die da jetzt vielleicht in SEINEN Fängen saß. Sie musste einfach etwas tun.

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„Hast du heute eigentlich schon irgendwas gegessen?“, fragte Paul, als er Pias Magen zum dritten Mal laut knurren hörte. Sie saßen immer noch in seinem Büro, es war kurz nach 20 Uhr und beide zermarterten sich jetzt seit Stunden den Kopf. Pia schaute auf, ihr Blick war etwas glasig, Paul hatte sie aus tiefsten Gedanken aufgeschreckt. „Du brauchst etwas zu essen bzw. wir brauchen etwas zu essen – und zwar dringend!“, stellte Paul ohne eine Antwort abzuwarten fest und holte sein Handy hervor. „OISHII, wie immer?“, fragte er, als wäre nichts in den letzten 10 Jahren passiert von dem, was wirklich passiert war. Pia nickte nur matt, sie wusste, dass sie sich nicht wehren konnte, sie war einfach viel zu hungrig. „Ja König hier, zweimal die Bestfriends- Roll und einmal die Mini-Frühlingsrollen bitte“, hörte Pia Paul am Telefon bestellen. „Viertelstunde“, erklärte Paul ihr, nachdem er aufgelegt hatte. Pia schaute ihn ungläubig an. „Seinen besten Kunden lässt man nicht warten!“, sagte Paul nur und lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück, um seine Glieder zu strecken, dabei gähnte er. Pia beobachtete ihn und zum ersten Mal heute konnte sie nicht anders, als ihn näher zu betrachten. Er war älter geworden, aber nicht die 10 Jahre, die sie sich nicht gesehen hatten, höchstens fünf. Sein Grinsen umschmeichelte immer noch seinen Dreitage-Bart, aber seit Neustem trug er doch tatsächlich eine Brille, wenn er länger arbeitete. Damit sah er wirklich aus wie ein Uni-Dozent, musste Pia eingestehen, nahm er sie jedoch ab, war Paul einfach nur wieder Paul mit seinem verschmitzten Grinsen und dem schelmischen Funkeln in den dunklen Augen. Paul bemerkte Pias Blick, sprach sie aber nicht drauf an, viel zu sehr genoss er ihre Aufmerksamkeit und ließ ihre Augen über sein Gesicht und seinen Körper wandern. Er fragte sich, was gewesen wäre, wenn alles anders gelaufen wäre vor 10 Jahren.

Crime-Fever :)

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Eine Viertelstunde später war dann auch wirklich das Sushi da. Paul setzte sich zu Pia auf die Couch und packte die beiden Bestfriends- Rolls und die Mini-Frühlingsrollen aus. Die erste Sushi-Portion vertilgten sie ohne zu reden, beide hatten einen riesigen Hunger. „Manches ändert sich nie!“, stellte Paul plötzlich fest und Pia blickte überrascht auf. „Ich habe immer noch Angst, dass du die zweite Portion polizeilich beschlagnahmst!“, scherzte Paul. „Idiot“, Pia verdrehte die Augen und knuffte Paul in die Seite. „Ich habe auch immer noch Angst, dass du mir ein nervtötendes Gedicht über Sushi schreibst, das mir den Appetit verdirbt!“, konterte Pia, die zum ersten Mal seit Stunden etwas durchatmen konnte. „Dann hoffen wir einfach beide, dass der andere nicht tut, was er am besten kann“, sagte Paul und schnappte sich trotzdem vorsichtshalber noch ein Stück Sushi. Pia musste lachen und beim Lachen lehnte sie sich plötzlich an Pauls Schulter, ohne es zu wollen oder es beabsichtigt zu haben, es war einfach so passiert. Einen Moment hielten beide Inne, dann fanden sich ihre Blicke und schienen sich ineinander zu verweben. „Warum haben wir uns damals eigentlich getrennt?“, fragte Paul plötzlich im neckischen Tonfall, obwohl Pia meinte, mehr Ernst dort herauszuhören als ihr Gegenüber zeigen wollte. Pia fielen auf Pauls Frage so einige Gründe ein, aber sie wollte jetzt nicht darüber nachdenken, deshalb stibitzte sie sich einfach nur das letzte Sushi von der Platte und antwortete mit vollem Mund: „Deshalb!“. Paul lachte, Pia lachte und plötzlich hatte Paul sich zu ihr rüber gelehnt und küsste sie. Einen Augenblick lang wusste Pia nicht, was sie tun sollte, sie wusste allgemein nicht, was sie tun sollte. Der ganze Fall, es war, als wären ihr die Hände gebunden, als könnte sie nichts tun, außer … außer Pauls Kuss zu erwidern. Und das tat sie dann auch, es fühlte sich richtig an in diesem Augenblick, seine warmen Lippen, seine Arme, die sich anfingen, um sie herumzuschlingen und seine Nähe. All das ließ sie für eine halbe Stunde alles vergessen: Warum sie hier war und was gerade in der dunklen, nieselregenbehafteten Nacht passieren mochte.

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