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AutorenbildJacqueline

#kri-me: Ein Germanisten-Krimi Kapitel 5.1

Immer wieder blickte sie sich um, ihr war noch nie ein Heimweg so lang und unheimlich vorgekommen. Sie versuchte sich selbst zu beruhigen, doch das Herz schlug ihr bis zum Halse. Es gab keine Gründe für sie, ruhig zu bleiben, keinen einzigen. Nur hunderte, nein, tausende, weswegen sie wie ein gehetztes Kaninchen durch die Straßen lief. Mittlerweile war sie vollkommen panisch, sie konnte die Tränen nicht mehr halten, die sich mit dem Regen zu einem unaufhörlichen Fluss vermischten. Sie hatte Angst, unfassbare Angst, ER schien hinter jeder Ecke zu lauern, durch jedes erleuchtete Fenster zu ihr hinabzublicken, in jedem Schatten bereit zum Angriff zu hocken. Fast fühlte sie SEINEN Atem in ihrem Nacken, SEINE Hände nach ihr greifen, SEINE Stimme neben ihr flüstern. Als sie endlich die Haustür erreichte, traute sie sich kaum aufzuatmen. Sie rannte die Treppe empor in den vierten Stock, hielt aber auf der zweiten Etage Inne: Was wäre, wenn ER dort oben in ihrer Wohnung nun auf sie warten würde? Sie erschrak bei ihrem eigenen Gedanken bis aufs Mark. Sie schüttelte sich, als wollte sie damit den Gedanken förmlich ab-schütteln. Auf einmal hörte sie, wie unten die Tür aufging und keine zwei Herzschläge später: Schritte auf der Treppe! Diesmal war sie sicher, bildete sie sich es nicht ein. Dort war eindeutig jemand hinter ihr im Treppenhaus und er kam näher und näher und näher. Panisch überlegte sie, was sie tun sollte; vielleicht war es nur ein Besucher und nicht ER, der da jetzt die Treppe raufstieg … aber dann könnte ER noch oben in ihrer Wohnung auf sie warten. Aber vielleicht war es auch umgekehrt; niemand in der Wohnung, aber ER nun auf der Treppe. Während sie nachdachte, krallten sich ihre Finger ins Treppengeländer und die Schritte kamen immer näher. Und dann war es zu spät für eine Entscheidung, eine Gestalt erreichte die zweite Etage und streckte die Hand nach ihr aus. Sie schrie, schrie aus tiefster Seele und stürzte zu Boden. Aus der Ferne, durch den Nebel der Angst hörte sie plötzlich eine Stimme ihren Namen sagen: „Frau Heineken, Frau Heineken, alles gut. Ich bin von der Polizei!“.

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15 Ausgaben der mittelhochdeutschen Erzählung vom „guten Sünder“, der mit seiner eigenen Mutter schläft, aber im Endeffekt noch Papst wird, lagen vor Pia und Paul. Mittlerweile routiniert blätterten die beiden die Ausgaben durch. Doch Pia merkte, wie ihr die Hände zitterten, sie war nervös. Sie wusste, sie waren ganz nah dran. Doch woran? Kämen sie noch rechtzeitig ? Oder war alles schon vergeblich und Lina längst …? Pia wollte den Gedanken nicht zu Ende denken und versuchte sich wieder auf die Buchseiten vor ihr zu konzentrieren. Paul hatte mittlerweile schon fünf Ausgaben durchgesehen, im Gegensatz zum Anziehen war er hier schneller als seine Sitznachbarin. Plötzlich klingelte Pias Handy, sie schreckte auf. Als sie nach ihrem Telefon griff, hätte sie es fast vom Tisch geworfen, so sehr bebten ihre Finger. „Liebknecht am Apparat“, meldete sich die Kommissarin und strich sich das zerzauste Haar aus der Stirn. „Hallo Pia“, antwortete ihr Kollege, „Wir haben die Person gefunden, die den Brief eingeworfen hat. Es war Frau Heineken, die mittlerweile bei uns auf dem Revier sitzt!“, erklärte der Polizist am anderen Ende der Leitung, „Außerdem sind die Ergebnisse aus dem Labor da, auch dieser Brief ist mit Linas Blut geschrieben. Es scheint hier offensichtlich einen Zusammenhang zu geben.“ „Okay und was ist mit diesem Lucas, dem Professor?“, wollte Pia wissen und wanderte ungeduldig durch den Bibliotheksraum, während der Stapel von durchgesehenen Büchern vor Paul wuchs. Als er ihren Blick bemerkte, schüttelte er nur bedauernd den Kopf, Pia wendete sich ab. Sie starrte in die Dunkelheit, während ihr mitgeteilt wurde, dass man Rainer Lucas nicht in seiner Wohnung gefunden habe, jedoch hätte man recherchiert, dass er am Hangeweiher ein Schrebergartenhaus besäße, eine Streife sei gerade losgefahren. „Okay, melde dich, wenn ihr ihn habt“, beendete Pia das Gespräch und legte auf. „Anna ist in Sicherheit, Lucas habe sie noch nicht!“, erklärte Pia Paul, der zu ihr aufschaute, als sie an den Tisch zurückkam. „Ich hab‘ dafür aber was für dich“, Paul schob ihr die älteste und zerfledderste Ausgabe des Gregorius ‘ hin. „Ich habe es erst für eine Markierung von einem Studenten gehalten, aber die Unterstreichung könnte auch mit Blut gemacht worden sein“, sagte Paul und zeigte auf den betreffenden Vers, „Hier, das Wort ‚Schlüssel‘ ist in diesem Satz unterstrichen. Ich glaube, der ‚Schlüssel‘ zu Linas Aufenthaltsort liegt in diesem Vers. Immerhin“, Paul zog die Notiz aus dem Armen Heinrich zu ihnen heran, „spricht der Entführer auch hier von einem ‚Schlüssel zu Buße und Reue‘.“ Pia nickte, Pauls Gedankengang schien logisch, er passte zu dem, was ihnen an Hinweisen vorlag. Jedoch kam sie von da aus nicht weiter, denn der Vers, der den „Schlüssel“ enthielt, hieß bloß: „im Magen des Fisches den Schlüssel“. „Und welchen Fisch sollen wir jetzt aufschneiden?“. rutschte Pia in ihrer aufkommenden Verzweiflung ihr erster Gedanke heraus. Paul sah sie an, sie meinte, Mitleid in seinen Augen zu sehen, bevor er den Blick abwandte. Pia missfiel dieser Ausdruck in Pauls Augen, aber sie schaffte es einfach gerade nicht mehr professionell zu bleiben. „Welcher Fisch, Paul? Denk‘ nach, gibt es irgendeinen Fisch in irgendeinem mittelhochdeutschen Buch von diesem komischen Hartmann?“, sie ließ sich neben ihn auf den Stuhl fallen. „Nein, ich denke nicht…“, erwiderte Paul, der angefangen hatte, stumpf auf die Seite zu starren, „Ich denke, es ist der letzte Hinweis, wir müssen in diesem Vers fündig werden …keine Notiz, keine Umrahmung, das ist das letzte, aber schwerste Rätsel.“ „Okay“, Pia versuchte sich zu beruhigen und atmete tief durch. Sie begann den Fall Revue passieren zu lassen, denn manchmal musste man einen Schritt zurückgehen, um im Endeffekt einen voran zu kommen. Doch sie schaffte es kaum einen klaren Gedanken zu fassen. alles drehte sich in ihrem Kopf und die einzelnen Fragen verhedderten sich bloß zu einem großen Knoten, der wuchs und wuchs. Von innen schien er ihr gegen die Stirn zu drücken, ihr Kopf und ihre Augen schmerzten. Was sollte sie bloß tun? Sie wusste nicht weiter ! Was zum Teufel sollte die Sache mit dem Fisch? Was hatte das mit Linas Aufenthaltsort zu tun? Wo war Lucas? In seinem Schrebergartenhaus? Oder gab es noch eine andere Zufluchtsstätte? Und was zum Fisch bedeutet dieser Teufel denn?


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