Pia kam gegen fünf Uhr morgens aufs Revier, durchgefroren, nass vom Regen und erschöpft. Paul trottete ihr wortlos hinterher. Er hatte, seit sie Lina gefunden hatten, kein Wort mehr gesagt. Pia machte sich ein bisschen Sorgen um ihn, jedoch war sie zu müde, um sich um ihn zu kümmern. „Frau Heineken ist in Verhörraum vier, wenn du sie noch sprechen willst“, teilte ihr der Polizist, der heute Nachtschicht hatte mit. Sie nickte nur und versuchte ein Lächeln, es misslang kläglich, doch ihr Kollege verstand ihre Geste und nickte ihr freundlich zu. Einen Moment später öffnete Pia auch schon die Tür und sah eine in sich zusammengesunkene, blonde Frau in ihrem Alter am Tisch sitzen. „Frau Heineken?“, fragte Pia zögernd. Die Frau blickte auf und es war der Kommissarin, als sähe sie Lina, nur eben ein paar Jahre älter. Pia musste sich zusammenreißen, um nicht sichtbar zu erschaudern. „Die entführte Studentin ist befreit, ihr geht es soweit gut!“. Ihr Gegenüber atmete sichtbar auf. „Es tut mir so leid…“, stotterte die blonde Frau dann, „Es ist alles meine Schuld!“. „Nein, ist es nicht, reden Sie sich sowas bitte nicht ein! Sie tragen daran keine Schuld! Derjenige, der sich dafür verantworten müsste, ist Rainer Lucas und nicht Sie.“ Während Pia das sagte, ging sie auf die zitternde Frau zu und griff nach ihrer Hand, „Wenn Sie wollen, können Sie morgen mit dem Polizeipsychologen sprechen. Ich würde es Ihnen empfehlen, es waren harte 24 Stunden.“ Pias Gegenüber blickte auf, erst zur Kommissarin, die sie mitleidig ansah, und dann zur Tür. Der Blick der Frau blieb an der Person hängen, die dort im Türrahmen lehnte und sich an einem Grinsen versuchte. „Paul, Paul König?“, fragte die blonde Frau plötzlich verwirrt, „Was machst du denn hier?“. Nun blickte sich auch Pia um. Ja stimmt, da war ja noch Paul. Den hatte sie fast vergessen, sie war einfach zu müde, viel zu müde. Paul antwortete nicht auf die Begrüßung durch seine ehemalige Kommilitonin, es schien fast, als wäre ihm das unangenehm. „Verzeihen Sie bitte“, die blonde Frau wandte sich wieder Pia zu, „Ich habe da wohl jemanden verwechselt. Das war wirklich viel für mich heute, bitte, halten sie mich jetzt nicht für verrückt, ich dachte nur, Ihr Kollege sähe so aus wie jemand, mit dem ich mal zur Uni…“. „Nein, das ist er“, unterbrach sie Pia, „Sie haben recht, Frau Heineke. Das ist Paul König, er war so lieb und hat mich im Namen der RWTH unterstützt in diesem Fall“. Danach versuchte Pia noch einmal zu lächeln und hoffte, dass es ihr besser gelungen war als ein paar Minuten zuvor. Doch ihr Gegenüber blickte nun noch irritierter drein: „Nein, das kann nicht sein, Paul arbeitet doch schon seit Wochen nicht mehr an der Uni. Ich habe es in der Zeitung gelesen, Anfang Januar ist er gekündigt worden“.
Kapitel 7
Der nächste Morgen hatte mit strahlendem Sonnenschein begonnen, doch erst mittags war Pia aufgewacht. Nun saß sie an ihrem Küchenfenster, eine Tasse heißen Kaffee in der Hand, dessen Duft ihre Lebensgeister weckte. Auf ihrem Handy waren im Laufe des morgens sicher 16 Anrufe von derselben Nummer eingegangen, doch es befand sich immer noch unberührt auf der Lokalzeitung vom 01.01.2019, die aufgeschlagen auf ihrem Esszimmertisch lag: „RWTH-Skandal: 1,0 zum Schnäppchenpreis. Dozent nimmt Schmiergelder an“. Darunter auch die Zeitung von heute, auf der Titelseite ein Bild der Universitätsbibliothek und darüber stand in großen Buchstaben: „Books and Crime: Entführungsfall an der RWTH gelöst“.
Pia starrte weiterhin nach draußen und trank ihren Kaffee Schluck für Schluck: Aachen konnte so friedlich aussehen, jedenfalls aus dem Fenster betrachtet, durch eine dicke Glasscheibe im Sonnenschein. Plötzlich klingelte Pias Haustelefon. Die Kommissarin bereute in diesem Augenblick, es noch nicht auf den Sperrmüll geworfen zu haben. Sie machte sich gerade auf den Weg zum Hörer, als der Anrufbeantworter ansprang und sie Pauls Stimme hörte: „Hallo Pia, ich weiß nicht, vielleicht hast du dein Handy aus oder so, vielleicht schläfst du auch noch, aber ich wollte mich entschuldigen. Tut mir leid, dass ich dich angelogen und meinen Kollegen bestochen habe, damit ich noch einmal mit dir zusammenarbeiten konnte. Ich habe das alles nur für dich getan … also für uns, weißt du?! Ich wusste, dass es für irgendwas gut sein würde, die Schlüssel nachmachen zu lassen, bevor man mich entlassen hat“, er lachte kurz unsicher, „sonst wären wir ja nichts ins Büro gekommen. Und naja, dass mein Büro noch nicht geräumt war, war doch irgendwie ein lustiger Zufall … oder vielleicht auch Schicksal. Nein, es war Schicksal, vor allem, was da drin passiert ist. Pia, das war alles ein Zeichen. Du und ich wie Bonnie und Clyde, das war toll, wir sind doch ein Team. Wir haben ein Leben gerettet“. Pia lauschte den Worten, die aus dem Telefon sprudelten, sie konnte sich nicht bewegen, sie stand einfach nur stumm da. „Pia bitte, sei doch nicht so streng mit mir“, hörte sie Paul am anderen Ende der Leitung sagen, „ … obwohl, du weißt, dass du mich gerne verhaften darfst, ich in Handschellen dir vollkommen hilflos ausgeliefert – das klingt doch verlockend! Also sei mir nicht böse, Frau Kommissarin…“, Eine Pause, Pia glaubte zu sehen, wie Paul sein Paul- Grinsen grinste, doch dann kippte die Stimmung, Pauls Stimme klang belegt, sein Tonfall fast flehend: „Pia, bitte, wir sind doch ein tolles Team, wir haben den Fall gelöst, Ruf doch bitte zurück. Ich lad‘ dich auch ins OISHII ein und du darfst mein ganzes Sushi beschlagnahmen, aber bitte, bitte ruf zurück! “. Dann legte er schlussendlich doch auf. Pia stand immer noch regungslos im Flur. Dann als wäre ihre Starre gelöst worden, ging sie schnurstracks aufs Telefon zu und riss den Stecker aus der Steckdose, die Anzeige wurde schwarz. Immer nur Lügen, Lügen, Lügen und blöde, zweideutige Sprüche, so war es schon vor 10 Jahren gewesen. Wie konnte sie nur glauben, es wäre jetzt anders. Dann ging sie zurück in die Küche, nahm aus ihrem Handy, das den 17. Anruf verzeichnete die SIM-Karte heraus und ertränkte sie in ihrem Kaffee, denn dieser schmeckte plötzlich nur noch bitter. Bitter, ja das war auch die Erkenntnis, dass sich nie etwas ändern würde … jedenfalls niemals zwischen Paul und ihr.
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