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AutorenbildJacqueline

#kri-me: Ein Germanisten-Krimi Kapitel 4.1

Der Nieselregen hatte sie trotz ihrer dicken Winterjacke fast vollkommen durchnässt. Sie hoffte inständig, dass SEIN Brief, den sie unter die Jacke geklemmt hatte, einigermaßen trocken geblieben war. Es war komisch das Blatt Papier mit SEINEN Worten so nah an ihrem Herzen zu spüren. Es war, als wären die Worte in ihre Seele gesickert, wie der Regen in ihre Kleidung. Mit bebenden Fingern und sich an die Hauswand bei dem Briefkasten gedrückt, holte sie SEINEN Brief unter ihrer Jacke hervor. Das Papier war erstaunlich trocken, so als könnte nichts den grausamen Worten auf ihm etwas anhaben. Als könnte selbst Regen die blutroten Buchstaben nicht verwischen, geschweige denn fortspülen. Unsicher, mit dem Brief in der Hand stand sie in der nassen Dunkelheit vor dem massigen Gebäude; im ersten Stock sah sie kaltes, gelbes Neonlicht brennen. Es schien also noch jemand vor Ort zu sein. Sie zögerte einen Moment, dann – mit einer schnellen Bewegung – warf sie den Brief in den Briefschlitz an der Tür. Das Klappern der Luke durchdrang wie ein klagender Hilferuf die Nacht. Im ersten Stock regte sich etwas, ein Schatten, als würde jemand aufstehen. Sie warf einen letzten Blick auf Tür und Briefschlitzt, dann wandte sie sich ab und lief zurück in die Dunkelheit.

Kapitel 4.1

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Paul suchte gerade seine Sachen auf dem Boden zusammen, während Pia sich bereits ihre Bluse zuknöpfte. Nachdem sie den obersten Knopf geschlossen hatte, drehte sie sich zu Paul um, der es bisher nur geschafft hatte, seine Jeans anzuziehen. Seinen Pulli in der einen und einen zerknitterten Zettel in der anderen Hand stand er mitten in seinem Büro und schien in die Betrachtung des Blatt Papiers vertieft. Pia trat zu ihm heran und stellte fest, dass es der Fahndungszettel mit Linas Bild drauf war, den Paul mit einer unergründlichen Miene musterte. „Kennst du sie etwa doch?“, wollte Pia wissen, die langsam ungeduldig wurde. Paul schüttelte den Kopf, aber zögerlich: „Sie kenne ich nicht, aber …“. „Aber was?“, Pia fasste ihn nun am Arm und zwang ihn mehr oder weniger sie anzusehen, „Paul, was ist los?“. „Das mag jetzt vielleicht albern klingen, aber …“, druckste Paul erst rum. Als er aber Pias Blick auffing, sagte er einfach, was er dachte: „Ich habe von Anfang an gewusst, dass ich diese Lina nicht kenne, aber sie hat mich an jemanden erinnert, Jemanden von früher, eine Kommilitonin von mir!“. Pia seufzte, sie hatte gehofft, dass ihm vielleicht etwas Wichtiges eingefallen wäre und nicht bloß eine alte Schwärmerei. „Na dann“, die Kommissarin fuhr sich durch die zerzausten Haare, ließ sich resigniert auf das Sofa fallen und stützte den Kopf in die Hände – für sie war das Thema damit abgeschlossen, „Anna, Anna Heineken hieß sie“, hörte sie jedoch Paul vor sich hin murmeln, „Was wohl aus der geworden ist?“. „Was war mit ihr?“, Pia hob den Kopf. „Ach, die hatte was mit einem Dozenten, ist unschön geendet. Deshalb fang ich nichts mit Studentinnen an. Die Geschichte mit Anna und dem Prof war mir eine Lehre!“, erklärte Paul kurz und zog sich den Pulli über. „Einem Dozenten hier an der Uni?“, hakte Pia nach, sie wusste nicht warum, aber ihr Polizei-Instinkt fing plötzlich an, sich zu regen. „Ja, hier an der Uni, ach Gott, wie hieß er denn noch mal?“, Paul lehnte sich gegen seinen Schreibtisch und schien nachzudenken, „Lucas, Rainer Lucas. Ich kannte ihn aus einem Seminar, da war auch Anna drin. Ach Gott, haben sich da alle den Mund über die beiden zerrissen. Aber das war noch gar nichts, wenn man bedenkt, was los war, als die sich getrennt hatten!“, nun verdrehte Paul die Augen. „Was war denn mit der Trennung?“, hakte Pia nach, die sich nun gerade aufgesetzt hatte und Paul aufmerksam anblickte. Der wiederum schaute eher irritiert zurück: „Seit wann interessierst du dich denn für Klatsch, Frau Kommissarin? Hast du zu viel Zeit auf dem Revier, dass du angefangen hast irgendwelche Frauenzeitschriften zu lesen?“. Pias Blick wurde daraufhin eiskalt und sehr eindringlich, sodass Paul sich dazu entschied, weiterzuerzählen: „Nun gut, also die beiden waren vielleicht so ein halbes Jahr zusammen gewesen, also nichts Ernstes … jedenfalls für Anna nicht, die trennte sich nämlich ziemlich überraschend von ihm. Zwar hatten die beiden natürlich versucht ihre Affäre irgendwie geheim zu halten, jedoch – wie du selbst heute so passend festgestellt hast – die geisteswissenschaftliche Fakultät und vor allem die Germanistik ist klein. Da kriegt man unweigerlich eigentlich alles mit, was hier so abgeht. Jedenfalls als es dann vorbei war, wurde das Ganze noch komischer, als es vorher war!“. „Wie meinst du das?“, unterbrach Pia ihren Gegenüber ungeduldig und bemerkte dann sofort, dass sie es grad selbst gewesen war, die das Gespräch verlangsamte. „Ist ja gut“, erwiderte Paul und hob beschwichtigend die Hände bevor er weitersprach, „Also angeblich hat der Prof dann noch Monate lang versucht, sie zurück zu erobern, mit Blumen und so. Aber Anna, naja, die hatte wohl die Nase voll von ihm und ignorierte ihn. Irgendwann war er dann auch nicht mehr an der Uni – warum, dass weiß keiner so genau. Man munkelte, dass er in letzter Not die Uni verlassen habe, in der Hoffnung Anna würde zu ihm zurückkehren, jetzt, wo sie es dann offiziell hätten machen können. Echt verblendet der Kerl! Andere aber sagen wiederum, dass Anna Lucas‘ unangemessenes Verhalten gemeldet hat und man ihn diskret, aber trotzdem ohne jegliche Vorwarnung gekündigt habe,“ Pia hatte, abgesehen von der kurzen Unterbrechung, Paul ganz genau zu gehört. „Und Lina sieht dieser Anna ähnlich?“. hakte sie noch einmal nach. „Ja, also soweit ich mich erinnere schon, ich hatte halt nur ein Seminar mit ihr…“, auf einmal hielt Paul Inne, er wurde ganz plötzlich blass und schlug dann wütend auf sich selbst mit der Faust auf den Tisch, sodass Pia sichtbar erschrak. „Scheiße, scheiße, scheiße, scheiße!“, zischte er und trat gegen seine Mülleimer. Pia sprang auf und griff Paul am Oberarm: „Paul, was ist los?“, Erst schüttelte ihre Gegenüber nur den Kopf, dann – ohne Pia anzuschauen – erwiderte er: „Das Seminar was ich mit Anna unter der Leitung von dem Prof hatte, was über Hartmann von Aue!“. „War das nicht der, der den Erec geschrieben hat?“, fragte Pia, obwohl sie die Antwort längst schon kannte. „Ja, aber nicht nur den, sondern auch den Armen Heinrich.“

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„Pia hier, eine Streife zu Frau Anna Heineken und eine zu Professor Rainer Lucas. Sofort“, Pia hielt das Handy ans Ohr gepresst, während sie mit Paul durch den Regen rannte. Das Gebäude der Unibibliothek war nur ein paar hundert Meter von dem Institut für Germanistik entfernt, aber der Weg kam ihr unglaublich lang vor, „Wir haben da noch was!“, erklärte der Polizist am anderen Ende der Leitung, „Heute gegen 19Uhr hat jemand einen Zettel in den Briefkasten des Reviers geworfen, ebenso blutrote Buchstaben. Eine Art Drohbrief, er ist bereits bei der Forensik!“. „Wer hat ihn eingeworfen?“, wollte Pia wissen, während sie über die Kreuzung lief, die im gelben Straßenlaternenlicht schwamm. „Das konnten wir leider nicht sehen, die Aufnahmen der Überwachungskamera zeigen eine vermummte Gestalt in dunkler Jacke mit Kapuze. Da ist eine Identifizierung quasi unmöglich!“, musste ihr Gesprächspartner eingestehen. „Verdammt, ruft mich an, wenn ihr mehr wisst!“, sagte Pia noch, bevor sie auflegte. Keine Sekunde später klingelte ihr Telefon, diesmal ihr Kollege, der den Ex-Freund befragt hatte: „Hallo Pia, wir haben nicht viel rausgefunden, außer dass Studenten heutzutage noch mehr Gras rauchen als früher!“. „Also keine Hinweise darauf, dass dieserLukas was mit allem zu tun hat?“, fragte Pia nur nach, um sicherzugehen, denn ihr Ermittlerinstinkt hatte sie vor dieser Sackgasse längst gewarnt. „Nein, auf keinen Fall, der hat direkt angefangen zu heulen, als wir vor der Tür standen! Der war total fertig“, berichtete Pias Kollege und klang unangebracht belustigt, „Der ist Veganer, der wird ganz sicher nicht das Blut seiner Ex als Tinte verwenden.“ Sie hörte Lachen am Ende der Leitung, Pia konnte diesem unangebrachten Scherz nichts abgewinnen und legte auf, ohne sich zu verabschieden – genug unnötige Information! Mittlerweile waren sie und Paul auch in der Bibliothek angekommen, Paul hatte als ihr Ermittlungshelfer sogar von der Hochschulverwaltung einen Schlüssel für das Gebäude bekommen, der aber nicht nötig war, denn sie trafen noch den Hausmeister an. „He, ich wollt‘ hier gerade abschließen!“, rief dieser, als die Kommissarin und ihr Begleiter ohne ein weiteres Wort an ihm vorbeistürmte. „Das dürfen Sie auch!“, wies Pia ihn an und zeigt dabei ihre Dienstmarke, „Sie dürfen jetzt abschließen, hier kommt keiner mehr raus oder rein ohne meine Erlaubnis!“. „Und ja, das heißt für Sie, dass sie bleiben müssen!“, setzte die Kommissarin noch nach, als der Hausmeister sich nach draußen begeben wollte. „Wenn’s sein muss. Das setz‘ ich aber auf die Rechnung!“, brummte der, schloss die Tür ab und schlurfte missmutig zu seinem Sessel. Während dessen war Pia längst schon Paul hinterher die Treppe hochgespurtet, hinter sich hörte sie den Hausmeister noch telefonieren, wahrscheinlich mit seiner Frau: „Ja, so eine Kommissarin und ein anderer Typ, kamen grad her…“. Ein paar Sekunden später stand Pia auch schon neben Paul, der bereits angefangen hatte, die Regale abzusuchen.

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