Der vierte Advent: Eine neue Kerze brennt, ein weiteres Licht geht an und doch ist es plötzlich, als hätte man jegliches Licht ausgeschaltet, weil der Film beginnt. Es flackert nun auf der Leinwand und plötzlich ziehen Bilder an mir vorbei, Bilder, die mein 2019 beschreiben.
Ich sehe den Petersdom in der aufgehenden Sonne bei leichtem Sommerregen, einen Moment, den ich niemals vergessen werde, weil kein Regisseur ihn hätte besser inszenieren können. Ich lasse mich noch einmal fallen in das warme Gefühl von Sommer, Urlaub und Leichtigkeit, während draußen der Regen gegen mein Fenster prasselt. Regen wie ich ihn aus Aachen kenne, wie ich ihn in Aachen einst liebte, wie er mich aus Aachen fortspülte und doch immer wieder dorthin zurückträgt.
Aber ich sehe auch den Rhein, den Rhein wie bei meinem ersten Mal, als ich meine neue Wahlheimat erkundete, als ich die Straßen von Köln entlangspazierte, erfüllt von einem Gefühl, das schwer zu beschreiben ist. Das zu beschreiben wohl unmöglich ist, weil es sich so tief in meinem Herzen verbirgt und Worte es nicht hervorzulocken vermögen. Nun bin ich nämlich da, wo ich eigentlich seit meinem 18. Lebensjahr sein wollte und doch ist mein Leben so anders, als ich damals gedacht habe. Aber wie soll man sich mit 18 auch vorstellen können, wie sein Leben sieben Jahre später ausschaut?!
Die Leinwand flimmert weiter. Ich sehe die Gesichter der Menschen, die mich durch mein Jahr begleitet haben. Manche von ihnen erblicke ich klar vor mir, ich kenne sie schon lange, ich kenne sie gut, sie begleiten mich seit Jahren. Andere verblassen langsam vor meinen Augen, sie verschwimmen und ich frage mich, wie es der Person nun ergeht, was sie wohl grad macht und wer sie nun ist, denn sie ist nicht mehr der Mensch, den ich mal gekannt habe. Und dann sind da neue Gesichter. Gesichter, bei denen ich noch nicht jedes Lachfältchen, jede Emotion, jede Regung gesehen habe, aber bei denen ich gespannt bin, was sie mir nächstes Jahr noch zeigen werden.
Und plötzlich sehe ich mich, ich sehe wie ich am Meer stehe, in meiner zweiten Heimat und Wünsche mit den Wellen hinausschicke. Wünsche, die ich für 2019 hatte, für dieses Jahr. Und plötzlich ist es also Frühling, Ostern um es genau zu sagen und ich spüre die damalige Aufbruchsstimmung, den Enthusiasmus, die Notwendigkeit von Veränderung.
Ich hatte zu diesem Zeitpunkt so viele Träume, die ich mir zu erfüllen gedachte und schlussendlich auch erfüllt habe. Denn jetzt bin ich hier, hier in Köln. Meine Masterarbeit befindet sich in den letzten Zügen, ich habe einen Job, der mich glücklich macht und Menschen in meinem Leben, die dies auch zutun vermögen - nur auf eine andere Weise, eine herzlichere weniger kognitive. Und doch sieht mein Leben ganz anders aus, als ich es mir Ostern noch ausgemalt hatte, anders als ich es mir Ende August, als ich aus Aachen fortging, vorgestellt habe, anders als es noch im Oktober war.
Ich sehe all die Veränderung, gute wie schlechte, schnelle wie langsame, traurige wie glückliche. Ich sehe die Zeit, wie sie voranschreitet, gnadenlos tickend wie ein Uhrwerk und ich sehe mich in der Mitte stehen. Ich weiß momentan noch nicht, wie das nächste Jahr für mich aussehen wird. Ich weiß noch nicht, wo es für mich hingeht – beruflich, privat oder auch nur in Urlaub.
Ich weiß nicht, was 2020 für mich bereithält – ich kann nur hoffen und mein Bestes geben. Ich kann nur darauf vertrauen, dass alles schon werden wird und die Welt nicht meinetwegen stehen bleibt, nur weil ich nicht weiß, wohin.
Und trotz der ganzen Ungewissheit sehe ich Chancen und Möglichkeiten, ich sehe Freudentränen und Lachen, das aus dem Herzen kommt. Ich sehe Dankbarkeit und Glück, ich sehe Momente, an die ich mich immer erinnern werde und ich sehe mich selbst und frage mich, wie das nächste Jahr mich verändern wird und wer ich im Dezember 2020 sein werde. Das Ende bleibt also offen.
Der Vorhang schließt sich, das Flackern erlischt und was zurückbleibt, ist der Adventskranz mit vier brennenden Kerzen und eine unbestimmte Gewissheit, dass das neue Jahr viel Gutes für mich bereithalten, mich fordern und fördern, sowie mir die Chancen geben wird, weiter zu sein, wie ich bin und zu tun, was ich liebe. Es ist ganz allein meine Entscheidung. Ich puste die Kerzen aus und gehe, ich gehe dem neuen Jahr entgegen und allem, was mit ihm kommen wird.
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