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#loudandproud: Die Wahrheit über Weihnachten

Es ist wieder diese Zeit gekommen, diese Zeit, in der uns überall Weihnachtswerbespots entgegen dudeln mit heilen, glücklichen Familien unterm Tannenbaum. Und auch auf Social Media betont jeder momentan, der häufiger sein Gesicht in den Storys zeigt, die Relevanz von familiärem Zusammenhalt und, dass man die Zeit mit seinen Eltern, Großeltern und Geschwistern an den Weihnachtstagen besonders genießen solle.

Generell ist an diesen Aussagen nichts Falsches, im Idealfall sollte Weihnachten mit der Familie (und eigentlich auch jedes sonstige Zusammentreffen) so harmonisch und friedlich verlaufen, wie es in den Medien propagiert wird. Aber die traurige Tatsache ist: Für viele war und ist Weihnachten mit der Familie ein Kampf – ich kenne das selbst nur zu gut.

Als ich ein Kind bzw. ein Teenager war, ging ich immer mit sehr gemischten Gefühlen in die Weihnachtszeit. Einerseits wünschte ich mir ein harmonisches Beisammensein, wie ich es im Fernsehen gesehen hatte, andererseits schwebte der Streit und Stress der vorigen Weihnachten wie ein mistelbesetztes Damoklesschwert über mir. Dennoch verließ mich lange nicht die Hoffnung auf eine Art „Weihnachtswunder“, welches dafür sorgen würde, dass es dieses Jahr anders werden würde.

Ich kann euch sagen, ich wurde immer wieder aufs Neue enttäuscht. Weihnachten mit der Familie blieb ein einziger trauriger Weihnachtsfilm ohne Happy End. Es herrschte stets eine passiv-aggressive Stimmung, die sich entweder in einem lauten Konflikt entlud oder einfach nur die Luft zum Flimmern brachte, während meine Hoffnung auf Besserung wie die Kerzen auf dem Adventskranz langsam niederbrannte.

Lange habe ich nicht verstanden, woran das lag. Bis mir irgendwann klar wurde, was an Weihnachten in vielen Familien (so auch in meiner) passiert: Es kommen Menschen zusammen, die sich zwar einen Teil genetischen Erbguts, aber dadurch nicht direkt zwingend Meinungen, Weltansichten und Charakterzüge teilen. Manche von ihnen wären mit den Personen, mit denen sie an Weihnachten aufgrund von Blutsbanden und gesellschaftlicher Tradition am Tisch sitzen, im wahren Leben noch niemals befreundet. Es entsteht also eine Art „Zwangsgemeinschaft“, die etwas tut, weil „man es eben so macht“, weil „es eben Familie ist“, weil „man es nicht anders kennt“ und nicht, weil man wirklich Zeit miteinander verbringen und sich bei einem Gläschen Wein und gutem Essen austauschen will. Dazu kommt oftmals auch noch der „Weihnachtsstress“ an sich, der insbesondere in meiner Kindheit bereits den Abend des 23. Dezembers vergiftete, weil es dann schon hieß, wir müssen anfangen das Weihnachtsessen vorzubereiten. An Heilig Abend wurde dann noch weiter den ganzen Tag gekocht, teilweise bis abends um acht oder halb neun, und natürlich stand das ganze Weihnachtsessen nicht unter dem Stern von Bethlehem, sondern unter der Prämisse, dass das Dreigänge-Menü „perfekt“ werden musste.

Das alles sorgte für eine unheimlich angespannte Stimmung, die der ein oder andere von euch kennen mag und die der Grund dafür ist, dass es Weihnachten in vielen Familien offen oder unterschwellig eskaliert. In der Luft liegt dann nämlich kein Plätzchenduft, sondern das Produkt von gesellschaftlichem Druck und einem allgegenwärtigen Unwohlsein - Eine explosivere Mischung, als das, was wir an Silvester dann als Raketen in den Himmel schießen und gleichzeitig ein Himmelsfahrtkommando, was keinen sicheren Hafen finden kann.

Das mag jetzt alles sehr hart und düster klingen, aber es ist nun mal die Wahrheit – die Wahrheit über Weihnachten bzw. das, was die Gesellschaft daraus gemacht hat.

Weihnachten ist für viele von uns nicht mehr das Fest der Liebe, bei dem wir uns mit Menschen umgeben, die wir wirklich gernhaben. Vielmehr ist es zu einer Zwangsveranstaltung geworden, in der Menschen einzig und allein aufgrund eines bloßen Datums sich zusammenfinden – mehr nicht. Man macht gute Miene zu bösem Spiel und versucht mal mehr, mal minder seine eigenen Gefühle zu unterdrücken, um bloß dem sozialen Benzin unterm Tannenbaum kein Feuer zu geben.

Wer das am eigenen Leib erfahren hat, der weiß, dass Weihnachten unglaublich kräftezehrend und anstrengend sein kann, dass Weihnachten nichts sein muss, worauf man sich freut, sondern was man fürchtet und dass Weihnachten mehr Belastung als Bereicherung mit sich bringen kann. Weihnachten ist somit ein gesellschaftliches Konstrukt, das für einen Teil der Menschen noch funktionieren mag, für einen anderen aber nicht. Diese Ansicht und damit ebenfalls einhergehende Entscheidungen sollten deshalb respektiert werden. D. h. auch, dass man „Nein“ sagen darf, zu einem Weihnachten mit Familie und zu toxischen Traditionen, dass man sich für eine Weihnachtsfeier mit Freunden oder einen Kompromiss entscheiden darf, dass man nicht alles mitmachen muss oder sich auch einfach vollkommen zurückziehen und die Weihnachtstage mit sich selbst verbringen darf. Also tu, was dir guttut. Mach‘ dich frei von dem gesellschaftlichen Druck, bevor er dich erstickt und habe den Mut, neue Traditionen und Werte zu schaffen, die unser Miteinander verbessern und bereichern, statt die Zeit um den 24. Dezember zu einem Spießrutenlauf werden zu lassen, der mitten ins Herz sticht.

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