Leute, wie ist das denn schon wieder passiert? Und ich meine nicht die Klima-Erwärmung, die steigende Benzin-Preise oder Trumps Nicht-Frisur, die er aber als eine solche ausgibt. Ich meine den Umstand, dass schon wieder Dezember ist. Dezember, d. h. der letzte Monat des Jahres 2019 ist angebrochen. War nicht eben erst Ostern? Ende des Sommersemesters? Und habe ich wirklich dieses Jahr schon Halloween gefeiert? – Mein Instagram-Account antwortet darauf mit einem klaren „Ja“, während mein Erinnerungszentrum im Gehirn immer noch die Information zu laden scheint wie ein You-Tube-Video in meiner dörflichen Heimat. Es wird also sicher noch einige Minuten dauern bis mein neuronales Netzwerk die Daten fertig abrufen kann – ich gehe von 90 bis 120 aus, wenn ich den Vergleich mit der Internetgeschwindigkeit auf dem Land beibehalte. Also, wie konnte das nur geschehen? Wie konnte das Jahr nur wieder so schnell und vor allem unbemerkt an mir vorbeiziehen wie eine Schar Harry Potters unter Tarnumhängen auf ihren Feuerblitzen? – Bitte, tut euch keinen Zwang an, erklärt es mir. Ich bin für jegliche Begründung dankbar – jedenfalls, solange ich dafür nicht mein Erinnerungszentrum im Gehirn zum Verarbeiten brauche, das sucht nämlich immer noch nach den Daten aus diesem Jahr. In diesem Zusammenhang frage ich mich nun auch, woran es liegt, dass die Zeit – je älter man wird – immer schneller vergeht. Denn ich erinnere mich an meine Kindheitstage (und komischerweise kann ich mich an die in einer Rekordzeit von gefühlt 0 auf 100 erinnern), in denen sechs Wochen Sommerferien noch eine Ewigkeit waren. In denen ein Jahr richtig viel Zeit war; ein Jahr konnte sich damals noch ziehen wie Kaugummi, vor allem, wenn es das Jahr war, in dem man vom Kindergarten endlich in die Schule gekommen ist. Wo ist bloß die Flexibilität der Zeit geblieben, ihre Dehnbarkeit? Zeit, wirst du auch älter? Lässt du nach? Warum gibst du dir plötzlich weniger Mühe als zuvor? Oder liegt es daran, dass ICH älter werde und ein Jahr deshalb im Verhältnis zu meiner steigenden Lebensdauer mir immer kürzer vorkommt. Fühlt sich mit 90 dann ein Jahr bloß wie ein Monat an? Oder muss ich mich dann nur noch von meinem gemütlichen Ohrensessel in die Küche zum Kaffeekochen bewegen und wenn ich wieder zurück bin, ist bereits 2086?
Es gibt sicher jetzt einige von euch, die sich Fragen, warum ich gerade so sensibel auf die im wahrsten Sinne des Wortes UnzuLÄNGLICHkeit dieses Jahres reagiere. Was mein Problem damit ist, dass dieses Jahr so schnell vergangen ist – immerhin kann man damit ja auch viel Gutes verbinden, wenn die Zeit rennt. Wie oft wartet man auf den Lieferservice an einem Sonntagabend und wünschte sich, die Zeit würde schneller vergehen? Wie oft steht man mitten im Regen an einer Bushaltestelle, die nur aus einem Schild besteht und hofft vergeblich darauf, dass der Bus schneller kommt? Ganz zu schweigen von peinlichen Gesprächen oder jeglichem Arztbesuch, den man am Liebsten auch so schnell wie möglich hinter sich hätte … Ja, das sind alles überzeugende Argumente, aber genauso kann ich Gegenbeispiele nennen, die – wie ihr Name schon verrät – genau das Gegenteil illustrieren: Wie oft wünscht man sich, man hätte Zeit für seinen Kaffee gehabt, der jetzt nach dem drölften Telefonat oder der zigtausendsten „Mach-ich-noch-eben-schnell-bevor-ich-dann-in-Ruhe-meinen-Kaffee-trink-Aktion“ vollkommen kalt ist? Wie oft meckern wir sonntagabends „Das Wochenende war viel zu kurz“? Wie oft hoffen wir insgeheim darauf, dass der Abgabetermin der Masterarbeit nicht schon in anderthalb Monaten sei? Ja, ihr habt’s wohl jetzt kapiert, warum mich dieses in meinen Augen objektiv verkürzte 2019 zur Verzweiflung treibt. Ich muss Mitte Januar meine Masterarbeit abgeben, wie mich ein Bekannter letztens auch noch einmal so nett drauf hingewiesen hat: „Dann hast du ja jetzt noch so sechs Wochen!“. Sechs Wochen, Leute, sechs Wochen, in denen ich überleben und gleichzeitig erklären muss, warum die Burgunden keine drei Tage auf dem Etzelhof überlebt haben. (Na, Hinweis auf den deutschen Klassiker verstanden, der Kern meiner Masterarbeit ist?) Sechs Wochen um zehnmal so viele Seiten abzugeben. Sechs Wochen bis ich voraussichtlich die letzte Uni-Prüfung meines Lebens abgelegt habe … Sechs Wochen, die in einem Fingerschnipsen vergehen werden, obwohl ich mich an ihnen festkrallen will. Sechs Wochen, auf die eine gewisse Leere folgt. Die Zeit wird sich dann wieder ziehen wie das Kaugummi, das man „letztes Kindergartenjahr“ nannte. Dann heißt es Warten aufs Ergebnis, warten auf …
Ostern, den Flug nach Rom, meine mündliche Prüfung im August, Halloween, Karnevalsbeginn? – ach hey 2019, da bist du ja! Und jetzt fällt mir auf, eigentlich warst du ganz schön!
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