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#meinungsmädchen: Warum ich ein Potter-Head bleibe

Wichtiger Disclaimer vorweg: Dieser Blogbeitrag gibt meine eigene Meinung wieder. Ich möchte anders Denkende und Fühlende an dieser Stelle nicht diskriminieren oder denunzieren, vielmehr geht es mir darum, meine eigenen Gedanken und Gefühlen zu diesem Thema zu teilen, ohne andere Sichtweisen in Frage zu stellen oder mich intolerant gegenüber diesen zu verhalten. Von der Erschafferin der Wizarding World und ihrer Weltanschauung möchte ich mich zudem ausdrücklich distanzieren, ihre Aussagen in Bezug auf die LGBTQIA+ sind für mich unhaltbar und inakzeptabel.


Ich würde mich, seit ich das erste Buch der Harry Potter-Reihe vorgelesen bekommen habe, als Potter-Head bezeichnen. Die Welt um den blitznarbigen Hauptcharakter, seine treuen Freunde und den nasenlosen Feind hat mich in einen Bann gezogen, der bis heute anhält. Für mich waren und sind die Geschichten aus Hogwarts und Hogsmead ein Teil meiner eigenen Geschichte, denn sie trösteten mich in verschiedensten Situationen über die Realität hinweg, die manchmal weniger zauberhaft und zudem uneindeutiger in Gut und Böse aufzuteilen ist. Bereits als ich das erste Mal meiner Mutter lauschte, wie sie meinem Vater und mir bei Tee und Schokolade jeden Nachmittag ein Kapitel der Bücher vorlas, umhüllte mich eine all diese Magie. Jene Momente gehören zu den friedlichsten und schönsten, an die ich mich aus meiner Kindheit erinnere. Zwar bin ich nicht aufgewachsen wie Harry, in einem Haushalt, in dem mir nur Hass und Gleichgültigkeit entgegengebracht wurde, doch war es auch nicht wie bei den Weasleys, bei denen Liebe, Verständnis und Geborgenheit im Umgang miteinander dominierten. Es war irgendwas dazwischen, irgendwas, was eine gewisse Leere in mir geschaffen hat, die jedoch zum Teil durch die Abenteuer der ZauberschülerInnen gefüllt werden konnte. Wenn also Harry Potter vorgelesen wurde, war die Welt für mich für den Zeitraum eines Kapitels in Ordnung.

Als ich älter und ein Teenager wurde, entdeckte ich die Bücher erneut für mich. Mit 15 oder 16 Jahren tauchte ich abermals in die magische Welt zwischen den Buchstaben ein. Diese Zeit in meinem Leben war geprägt von wiederkehrenden Mobbingerfahrungen, einer Zuspitzung der familiären Situation und dem „normalen“ Wahnsinn, den man Pubertät nennt. Die Harry Potter-Bücher gaben mir nun einen Ort, um mich zu verkriechen, fernab von der zumeist unangenehmen Realität. Sie eröffneten mir die Chance, eine andere Welt zu erleben, in der neben Zauberei, Freundschaft und Toleranz fast alle Problem lösen konnte. Harry und seine Freunde waren "anders" und genau dieses Anderssein machte sie zu etwas Besonderem. Hogwarts ist im Großen und Ganzen ein Ort, an dem AußernseiterInnen der bekannten Gesellschaft einen Platz fanden und auch ichglaubte daran, dass ich hier eher Akzeptant und Anerkennung finden würde als in der echten Welt.


„Eskapismus“ lautet der Fachbegriff für das, was ich zu diesem Zeitpunkt tat. Während meine ersten Erfahrungen mit Harry Potter noch mit schönen Momenten in der Realität verbunden waren, war es nun eine vollkommene Loslösung vom Hier und Jetzt. Es war, als würde ich mich in den Raum der Wünsche begeben, einfach von der Karte des Rumtreibers verschwinden und für niemanden auffindbar sein, wenn ich es nicht wollte. Harry Potters Welt gab mir das Gefühl von Geborgenheit; hier war alles so einfach, hier war Raum für querky Personen wie Luna Lovegood, Streberinnen wie Hermine und sogar Werwölfe wie Remus Lupin. All diese Charaktere struggelten zwar auch zu Beginn mit ihrem Dasein, fande aber recht schnell Aufnahme in den Freundeskreis um den blitznarbigen Protagonisten und konnten ihren Wert beweisen. Genau ein solches Umfeld wünschte ich mir, fehlte mir aber von der Unter- bis zur Mittelstufe. Ich las die ganze Reihe erneut im Abstand von einem Jahr bis ich 18 war und endlich ausziehen konnte.


Mittlerweile bin ich bei einem weiteren Re-Read der Bücher angekommen, da ich von meiner Mutter die illustrierten Ausgaben geschenkt bekommen habe. Außerdem höre ich liebend gern Harry Potter-Podcasts und kann immer noch nicht genug von all dem bekommen. Bis heute ist die magische Welt des Potterverse der Ort, an den ich gehe, wenn ich mich traurig, überfordert oder verletzt fühle. Es ist wie eine Umarmung von Mrs. Weasley, in die ich einfach nur versinken kann.

Wenn man es negativ betrachtet, stehe ich, sobald ich etwas aus dieser Themenwelt konsumiere, unter einem Imperius-Fluch. Es ist auch ein bisschen, wie Harry im vierten Band beschreibt: Man hat das Gefühl, man müsse nicht mehr nachdenken, alles ist leicht … denn man kennt die Geschichte ja schon, man weiß, wie sie endet und nichts kann einen mehr erschrecken oder unangenehm überraschen. Naja, fast nichts… denn dann fing J. K. Rowling an, zu twittern. Mit ihren unreflektierten und diskriminierenden Posts macht sie dem Tagespropheten in Harry Potter und der Orden des Phönix Konkurrenz. Fast genauso wie die Redaktion der auflagenstärksten; britischen Zauberer-Zeitung Harry und Dumbledore als notorische Lügner denunziert, unterstellt Rowling Transpersonen ähnliches. Was die Autorin in diesem Zusammenhang von sich gibt, ist von Intoleranz und Unverständnis geprägt und widerspricht damit so vielem, was ich eigentlich mit den Büchern in Verbindung bringe.


All dies erschüttert mich als Potter-Head. All dies lässt mich manchmal anzweifeln, ob ich überhaupt noch die Harry Potter- Bücher für das lieben darf, was sie mir in meinem Leben bisher gegeben haben. Ich stelle mir die Frage, inwiefern Kunst von KünstlerInnen getrennt werden kann bzw. darf, komme da aber nicht zu einer Lösung, welche all das in sich vereint, was mein Verstand wie auch mein Herz will und braucht. Ich weiß, dass es rational gesehen der richtige Weg wäre, auf den Konsum von jeglichem Wizarding World-Produkt zu verzichten. Dennoch gebe ich zu, dass ich dies nicht tue; ich freue mich über die illustrierten Ausgaben der Harry Potter-Bücher wie Harry über seinen ersten Besen, ich habe sogar alle Fantastic Beasts -Filme im Kino gesehen (auch wenn ich es im Nachhinein bereue) und momentan schaue ich mir einen Stream von Hogwarts Legacy an. Auch trage ich immer noch stolz meinen Slytherin-Schal und die passenden Socken, die ich von Freunden und KollegInnen geschenkt bekommen habe.


Hogwarts, das goldene Trio und all die Magie, die diese Welt zu bieten hat, lassen mich nicht los und auch ich will all dies nicht loslassen. Harry Potter ist nämlich nicht nur J. K. Rowlings Geschichte, es ist ebenfalls Teil meiner eigenen Geschichte und der Geschichte vieler anderer Menschen geworden, die ähnliches mit den Büchern verbinden. Natürlich ist auch in der buchinternen Handlung nicht alles ein Schnatz, was glänzt: Demnach bin ich der Meinung, dass die Darstellung der Kobolde und die Versklavung der Haushelfen durchaus kritisch zu betrachten sind und Hermines B.ELFE.R Projekt innerhalb der Handlung mehr Ernst genommen hätte werden sollen. Trotzdem vertrete ich den Standpunkt, dass ebenfalls auch viele wichtige Werte in der Geschichte vermittelt und auch real existierende Missstände kritisiert werden.


Aber das ist eigentlich gerade gar nicht der Punkt, worauf ich hier hinaus möchte. Vielmehr geht es mir darum, aufzuzeigen, dass Kunst neben einer politischen Facette auch stets eine emotionale Komponente innerhalb des Rezeptionsprozesses besitzt, die man in solch einem Diskurs nicht ignorieren darf. Kunst verbleibt bei ihren KonsumentInnen im besten Fall nicht wie eine Schweißperle auf der Haut, welche nach kurzer Zeit verdunstet ist, sondern bahnt sich ihren Weg in das Herz derjenigen, welche sie betrachten. Diese Verbindung zwischen Kunst und RezipientInnen ist für mich einfach an dieser Stelle stärker als die zwischen Kunst und KünstlerIn. Während Kunst ein Output der Kunstschaffenden ist, definiert sich die Beziehung zwischen Kunst und Rezipierenden oftmals über einen Verwebung von Objekt und individuellen Persönlichkeitsstrukturen. Die Kunst wird hier zum Input. Eine solche Verknüpfung ist daher nicht so leicht, zu kappen. Im Fall vom Potterverse und mir wäre dafür wohl kein Vergessenszauber – selbst Lockharts nicht – stark genug. Dementsprechend bleibe ich ein Potter-Head, ergänze J. K. Rowlings erdachte Phantasiewelt um einen Inklusionsfaktor, an dem es ihm niemals in meiner Vorstellung gemangelt hat, und verurteile ihre Aussagen als Person aufs Schärfste. Harry Potter ist mir einfach zu wichtig, um all das, was mir die Geschichte gegeben hat, fallen zu lassen. Mich jetzt von diesem künstlerischen Werk zu distanzieren, wäre Selbstverleugnung und deshalb kämpfe ich heute nicht mit, sondern für das Goldene Trio gegen seine Erschafferin.

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