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AutorenbildJacqueline

#nachgedacht: Heimatgefühle

Ich habe mich lange gefragt, was für mich Heimat ist – ein Wort, welches sich gefühlt in jedem zweiten Buch findet, ein Gedanke, der scheinbar die Menschheit schon lange beschäftigt, eine Frage, auf die ich bis vor ein paar Monaten selbst keine Antwort wusste. Heimat war für mich lange ein bloß abstraktes Konstrukt, das ich manchmal verwendet, aber nie gefühlt habe. Ich gebrauchte das Wort selten und meist nur, wenn ich Leuten erklärte, dass ich zu meiner Mutter in den Ort fahre, an dem ich meine Kindheit verbracht habe.


Warum nannte ich dies „Heimat“? Weil es am einfachsten so war, denn für viele ist das, was ich gerade so umständlich erklärt habe, das Synonym für Heimat: Heimat ist die Gegend, wo man aufgewachsen ist, wo die Familie wohnt und wo man Weihnachten hinfährt, um mit seinen Eltern, Geschwistern und Großeltern zu feiern. Doch für mich ist das kleine Dorf am Niederrhein nicht mehr als ein Ort, an dem ich zwar viel Zeit verbracht, aber an dem ich nie mit Leib und Seele angekommen bin. Viel zu einfach ist es mir nämlich damals gefallen, mein Elternhaus und auch mein soziales Umfeld zu verlassen. Viel zu einfach ist es mir gefallen, zu gehen und nicht zu wissen, wann ich wiederkommen werde. Mich hielt dort nichts, mein Herz hielt dort nichts, ich war frei, einfach zu gehen.


Darauf folgte eine Zeit, in der ich glaubte, dass ich eine Seele hätte, die niemals Wurzeln schlagen könne – jedenfalls nicht an einem materiellen Ort wie einer Stadt oder einer Gegend. Die typischen Gefühle, die stets mit Heimat oder Zuhause in Verbindung gesetzt werden, habe ich über einen langen Zeitraum nur bei Menschen empfunden, die über die Jahre in mein Leben getreten sind. Einige davon begleiteten mich auf meiner Suche nach Heimat für einen Teil des Weges, andere sind auch heute noch an meiner Seite und werden für mich immer Heimat bleiben.


Und dann ist da mittlerweile noch etwas, das ich bereits in Ansätzen vor ein paar Jahren gespürt habe in Verbindung mit Aachen, was aber erst in den letzten Monaten klare Gestalt angenommen hat. Vielleicht liegt es daran, dass ich älter werde bzw. jetzt in das Alter komme, in dem man zu Sentimentalitäten neigt, aber ich fühle mich zum ersten Mal in meinem Leben an einem Ort heimisch. Hier in Aachen habe ich Wurzeln geschlagen. Wurzeln, die sich auch in meiner Kölner Zeit nicht haben lösen können. Wurzeln, die sich bereits vor Jahren un- oder auch unterbewusst in den Aachener Boden, unter das Kopfsteinpflaster, gegraben und dafür gesorgt haben, dass Aachen ein Teil von mir geworden ist – oder ich ein Teil von der wunderschönen Kaiserstadt?


Ich weiß es nicht genau. Ich weiß aber nun endlich, wie sich das anfühlt, eine Heimat zu haben, die ein Ort auf der Landkarte ist. Die man Menschen zeigen und gleichzeitig damit einen Teil von sich zeigen kann – und wehe, jemandem gefällt Aachen nicht, wehe, jemand schimpft über das Kopfsteinpflaster oder beschwert sich darüber, dass in Aachen nichts los ist – dann tut mir das tatsächlich ein bisschen im Herzen weh, denn Aachen ist meine Heimat und meine Heimat ist auch ich.


Ich bin also endlich angekommen, habe verstanden, was „Heimat“ für mich bedeutet und dass sie sich materialisieren und damit zu einem realen Ort werden kann. Aus der leeren Worthülse ist ein Farbenspiel an Emotionen geworden, das ich mit der Stadt, in der ich jetzt wieder seit einem halben Jahr lebe, verbinde und immer wieder fühle, wenn ich durch die kleinen Gassen und verzweigten Straßen laufe. Heimat ist für mich mittlerweile das Gefühl, sich jedes Mal neu in den Ort zu verlieben, an dem man sich alltäglich befindet und an dem man sich trotzdem nicht satt sehen kann. Heimat ist Ankommen und Angekommensein zugleich. Zum ersten Mal in meinem Leben verspüre ich das Bedürfnis, zu bleiben und bleiben zu dürfen. Erwünscht zu sein, willkommen zu sein, einfach nur hier zu sein – das verbinde mit Heimat und damit mit Aachen.


Wenn am Dom die Magnolien blüh’n; zartes Rosé im saftigen Grün, dann weiß ich, ich bin hier und hier will ich sein.


Wenn das Rathaus im Dunkeln erstrahlt, seine Silhouette in den Nachthimmel malt, dann weiß ich, ich bin hier und hier will ich sein.


Wenn hinter dem großen Brunnen der Elise die Sonne strahlt auf Treppen und Wiese, dann weiß ich, ich bin hier und hier will ich sein.


Wenn ich also nun durch Aachen gehe, wenn ich dich, Aachen, dabei nur ansehe, dann geht mir dein Blick unter die Haut, aus deinem Stein meine Heimat erbaut. Du bist ein Teil von mir und ich von dir, denn ich weiß, hier will ich sein, sonst wär‘ ich nicht hier!


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