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AutorenbildJacqueline

#nachgedacht: Warum Tagträumen so wichtig ist

Ich weiß nicht, ob ihr es kennt, dieses Gefühl, dass einem irgendetwas fehlt. Man weiß nicht genau was. Man weiß nur, man ist nicht 100-prozentig glücklich. Es ist als würde einem an seinem Mantel ein Knopf fehlen, nur ein einziger und wenn man sich nicht bewegt, dann fällt es auch nicht auf, dann ist es, als würde der Mantel komplett schließen. Doch merkt man, sobald man sich regt, wie der Mantel an dieser Stelle aufgeht, nur einen Spalt breit, aber weit genug damit ein Windhauch hineinfahren kann, der einen vor Kälte erschaudern lässt. In diesen Momenten ist man sich des fehlenden Knopfes bewusst.

Das größte Problem an einer solchen Situation ist meiner Erfahrung nach, eine Antwort auf jene beiden Fragen zu finden: Wann hat man den Knopf verloren und wie hat er überhaupt ausgesehen? Ich habe eine lange Zeit nach meinem verlorenen Knopf gesucht und ihn nun durch Zufall gefunden, als ich es nicht erwartet habe in einem Podcast von Jacko Wusch (ich verlinke ihn euch hier mal: https://open.spotify.com/episode/07Olvrl7M76D41BcTi0kb9?si=pf-RZKczSh-auU60cu58jQ ):

Mein verlorener Knopf ist das TRÄUMEN bzw. das TAGTRÄUMEN: Sich einfach gedanklich treiben zu lassen, sich Szenarien auszumalen und durchzuspielen, dabei Gefühlen freien Lauf lassen, sich nicht fürchten müssen vor den Konsequenzen. Bloß die Bilder an einem vorbeiziehen lassen, die Farben bewundern und das Hirngespinst genießen – das habe ich lange schon nicht mehr getan. Früher hingegen, in meiner Kindheit und Jugend, war jenes Loslassen der Realität Kernbestandteile meines Seins. Als Schulkind habe ich von Abenteuern und neuen Plüschtieren geträumt, als Teenager von meinem Schwarm und davon, wie es wäre die Frontfrau einer eigenen Band zu sein. Oftmals habe ich dabei Musik gehört, in meinem Bett gelegen und mit geschlossenen Augen vor mich hin fantasiert. Später dann malte ich mir das Leben als erwachsener, unabhängiger Mensch aus. Ich habe mir vorgestellt, wie es ist, zu studieren, eine eigene Wohnung zu haben bzw. in einer WG in einer hippen Großstadt zu leben. Jedes Bild, jede Geschichte, jedes erträumte Erlebnis sah ich bis ins kleinste Detail vor mir und die Vorfreude wuchs auf das, was kommen sollte.

Ob Träume wahr werden oder nicht, sie sind auf jeden Fall bewahrenswert

Doch irgendwann und ich meine, es ist ganz plötzlich gewesen, hörte ich auf. Ich verbannte die Träumereien aus meinen Gedanken, ich schob die farbenfrohen Fantasien beiseite. Ich glaube, ich tat dies, weil ich glaubte, es wäre kindisch und naiv. Ich fing an, alles in Kisten in meinem Gehirn zu packen, zu ordnen, zu organisieren, dass nur Platz für das „wirklich Wichtige“ im Leben bliebe. Vorbei war die Zeit der Traumtänze, der zauberhaften Zukunftsvisionen, der wundervollen Wunschvorstellungen. Ich glaubte einerseits daran, dass um erwachsen zu werden, man realistisch bleiben müsse und andererseits gab ich mich der naiven Vorstellung hin, wer „zu groß“ träume – z. B. von einer Pop-Karriere als Frontfrau einer berühmten Band – , der könne nicht mit dem, was er hat, glücklich sein.

Bis zu einem gewissen Grad hat für mich auch funktioniert, was AnnenMayKantereit in ihrem Lied „21,22,23“ besingen, wenn es heißt „Und du hältst deine Träume absichtlich klein, um am Ende nicht enttäuscht zu sein.“ Es hat mir das Gefühl von einer gewissen Kontrolle gegeben, mein Leben so leben zu können, wie ich es will – und ist das nicht dieses ominöse „Glücklichsein“? Ist das nicht das, was wir alle wollen?

Meine jetzige Antwort drauf lautet „Jein“: Auf der einen Seite ist es sicherlich gesund, sich realistische Ziele zu setzen, sich nicht zu viel aufzubürden und mit den Chancen und Möglichkeiten zu rechnen, die man eben de facto hat und doch … auf der anderen Seite darf man natürlich auch noch träumen, man darf sich noch vorstellen, wie es wäre auf einer großen Bühne zu stehen, einen Bestseller zu schreiben oder sogar davon Magie zu besitzen. All die Dinge, die einen sich gut fühlen lassen, die positive Emotionen in einem wecken und einen auch mal vor der tristen und manchmal ungemütlichen Realität bewahren, haben ihre Daseinsberechtigung – mögen sie auch noch so unrealistisch bis nahezu unmöglich sein.

Sie geben einem nämlich eine ganz merk-würdige Form von Hoffnung, ein Gefühl von einem „Mehr“, das in der Welt hinter dem Sicht- und Wahrnehmbaren steckt. Träume lassen einen fühlen, dass man nicht limitiert ist – jedenfalls nicht in seinem Denken. Hier ist alles möglich und darf auch alles möglich sein. Hier ist der Ort, an dem man Kind bleiben darf und sogar – meiner Meinung nach – Kind bleiben muss, um ein langfristig glückliches Leben zu führen.

Hier in dem Raum zwischen biologisch-neuronalen Prozessen und der materialistisch-haptischen Welt befindet sich der Ort, an dem die Realität nicht zwingend Macht haben muss, wenn man es nicht will. Hier ist der Ort, an dem man zur Ruhe kommen oder zur Höchstform auflaufen kann. Der Ort, der uns Raum für Emotionen gibt, den wir sonst vielleicht nicht haben. So wird das Träumen zu einem gemütlichen Platz, an dem wir frei von gesellschaftlichem Druck und der Wertung anderer sind, zu einem friedvollen Platz, an dem man tun und sein kann, was bzw. wer man will.

Und einen solchen Platz im Leben zu haben, ist wichtig. Er sorgt für Balance und dafür, das innere Gleichgewicht zu finden. Er bildet die sensible Gänsehaut, die uns davor bewahrt abzustumpfen. Träumen verhindert, dass der graue Alltag das eigene Gemüt genauso färbt und sorgt dafür, dass Wünsche und Ziele entwickelbar sind, die vielleicht gerade noch nicht in der eigenen Reichweite liegen, aber u. U. schon in einem Jahr in greifbare Nähe gerückt sein können.

Genau das ist mir diese Woche klar geworden und genau daran wollte ich euch diesen Sonntag teilhaben lassen: Träumen macht nicht zwangsläufig unglücklich, nur weil viele Träume Träume bleiben. Träumen sorgt vielmehr dafür, dass dem drückenden Gewicht der Realität etwas entgegengesetzt werden kann.

Diese Erkenntnis hat dafür gesorgt, dass ich in naher Zukunft meinen Mantel wieder komplett schließen kann, der Knopf muss nur wieder angenäht werden und in meinem Kopf ist ein bisschen unkonventionelle Unordnung erlaubt, es ist wieder Platz zum Traumtanzen da, für die guten Gedanken, die übertrieben-optimistischen und für ein bisschen Magie.

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