top of page
AutorenbildJacqueline

#nachgedacht: Über die Zukunft

Wir Menschen neigen dazu, in die Zukunft blicken zu wollen. Seit Anbeginn der Zeit suchen wir Antworten auf unsere brennenden Fragen. Wir erhoffen uns, sie in den Sternen, in Tarotkarten, in weisen alten Frauen zu finden. Wir lassen unsere Lebenslinien analysieren, Horoskope erstellen oder warten gespannt auf den Glückskeks zur Rechnung beim Asia-Buffet. Die Zukunft fasziniert, in der Zukunft ist alles möglich und doch versuchen wir, den einen Weg und darin unser Glück zu finden. Dabei ignorieren wir die Mannigfaltigkeit an Optionen, die uns die Zukunft darbietet, wir wollen wissen, was wir nicht wissen können, obwohl es zu 90 Prozent von uns selbst abhängt.

Die Ungewissheit und Unwissenheit, die uns die Zukunft schenkt, sehen wir oft als Herausforderung oder sogar als Provokation. Unser Wissensdurst übervorteilt hierbei unsere Vernunft, weil wir immer mehr die Fähigkeit verloren haben, das Hier und Jetzt zu genießen. Selbst in unserem Privatleben – fern der Wissenschaft – schlagen wir uns mit Wahrscheinlichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten rum. Wir fragen uns, wie wahrscheinlich es ist, dass wir zum Vorstellungsgespräch geladen werden, wir rechnen aus, wie unwahrscheinlich es ist, dass das Tinder-Match zurückschreibt. Wir wiegen ab, wie hoch die Wahrscheinlichkeit steht, dass wir am Freitag pünktlich das Büro verlassen können.

Dabei verlieren wir den Kontakt zu dem, was wirklich wichtig ist. Zu dem, über das keine Ungewissheit herrscht, zu dem, was überhaupt den Grundstein für unsere Zukunft bildet: Das Jetzt. Den augenblicklichen Moment, in dem wir uns gerade befinden.

Wir sehen nicht und wollen manchmal nicht sehen, dass genau hier unser eigentlicher Handlungsspielraum liegt, dass wir genau jetzt gebraucht werden, dass wir nur hier die Kraft haben, etwas zu bewegen. Weder in Zukunft noch in der Vergangenheit finden wir Frieden, in keinem kommenden noch vergangenen Moment können wir uns wahrhaft glücklich fühlen, nur in dem, in dem wir uns gerade befinden. Alles andere sind Erinnerungen oder Visionen, die bloß eine Ahnung von Gefühlen vermitteln können.


Deshalb ist es so wichtig, jetzt dafür zu sorgen, dass es einem gut geht und die Dinge, die man jetzt hat, zu wertschätzen ohne, sich zu fragen, ob und wann man sie verlieren wird. Der Grundstein hierfür ist schon längst gelegt, er liegt nämlich genau darin, was wir oft zu überwinden versuchen: In der Unfähigkeit, in die Zukunft zu sehen. Was uns – wie oben bereits beschrieben – manchmal als Fluch erscheinen kann, ist nämlich eigentlich ein Segen. Ich nenne es liebevoll „den Nebel der Zukunft“.

Dieser Nebel mag auf den ersten Blick eine Begrenzung des Horizontes sein, aber funktioniert er für mich eher wie ein Schutzschild. Ein Schutzschild davor, dass meine Zukunft mein Jetzt beeinflussen kann, so wie es schon oft genug meine Vergangenheit tut. Und ich glaube jeder kennt die Momente, in den wir aufgrund von vergangenen Erfahrungen und Verletzungen handeln und es im Nachhinein bereuen. Der Nebel der Zukunft verhindert so etwas. Im Gegensatz zum juristischen Kontext schützt uns hier die Unwissenheit, sie schützt uns u. a. davor etwas Wichtiges zu verpassen. Wenn wir z. B. wüssten, dass eine Beziehung bereits nach ein paar Monaten in die Brüche geht, würden wir sie höchstwahrscheinlich nicht führen und dabei u. U. tolle Momente missen, die uns im Jetzt glücklich machen könnten. Wenn wir wüssten, dass wir den Job bekommen, den wir wollen, würden wir uns nicht so ins Zeug legen und dabei nicht lernen, unseren inneren Schweinehund zu überwinden. Wir würden generell jeglichen, möglichen Fehler umgehen und am Ende dumm sterben, weil uns wahre Lebenserfahrung fehlt. Wir würden nicht halb so viel fühlen, wie wir könnten und eine Leere bliebe in uns zurück – eine Wüste geschaffen durch Wissen, ein ausgetrocknetes Meer von Emotionen.

Seine Zukunft nicht zu kennen, ist demnach für mich eher ein Gewinn als ein Verlust. Es bietet uns Platz zu träumen, zu wünschen und zu staunen über das Unerwartete. Außerdem schützt es uns davor, schon enttäuscht zu sein, bevor die Enttäuschung eintritt und zu leiden, bevor wir Leid erfahren. Es gibt uns die Möglichkeit, alles zu seiner Zeit zu erleben und schenkt uns immer wieder neue Hoffnung auf eine unbekannte Veränderung, die die Karten neu mischen kann. Ungewissheit wird somit zum Wissen, das nichts uns unmöglich erscheinen muss und alles passieren kann – vor allem auch im Guten. Und wenn man – so wie ich – an keine voll und ganz determinierte, sondern eine variable, wenn auch schicksalhafte Zukunft glaubt, dann gibt die Ungewissheit einem Mut und Kraft weiterzumachen und sich überraschen zu lassen, wohin das eigene Engagement im Hier und Jetzt einen führt.

447 Ansichten0 Kommentare

Comments


bottom of page