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AutorenbildJacqueline

#nähkästchen: Abschied nehmen

Abschiede sind allgegenwärtig in unserem Leben; wir nehmen Abschied nicht nur von Menschen, sondern auch von Lebensumständen, Gewohnheiten (am besten von den schlechten) oder auch Gegenständen, z. B. wenn wir aussortieren. Dies können Abschiede für immer oder nur für kurze Zeiträume sein, manche davon fallen uns leicht, andere schwerer und manche tun auch wirklich weh. Letztere stellen unsere Leben meist ziemlich auf den Kopf und lassen uns mit einer inneren Leere zurück, die im schlimmsten Fall all unsere Energie frisst.

Doch jedem noch so verletzendem Abschied, jedem Ende mit Schrecken wohnt ein Neubeginn inne – ein Spruch, den wohl jeder bereits bei einer Trennung, dem Verlust seines Arbeitsplatzes oder dem Tod eines geliebten Menschen gehört hat. Bekannte Reaktionen sind das berühmte Augenrollen á la „Wenn du meinst …“ oder auch ganz offener Protest. In diesen Augenblicken kann man nämlich einfach die Chancen, die in einem Ende stecken, nicht unbedingt direkt sehen, man will sie auch nicht sehen, hält allzu gern an dem fest, was man kennt bzw. kannte. Doch ist das alles ein bisschen so, als würde man sich an einen Ast klammern, der längst schon vom Baum abgefallen ist – ein totes Stück Holz, was nie wieder neue Blätter tragen wird. Der Sturz, den man vielleicht gefürchtet oder – im Gegenteil – gar nicht erwartet hat, ist schon geschehen – „Unheil angerichtet“ wie die Marauders sagen würden.


Trotzdem halten wir gerne in solchen Momenten besonders an diesem abgefallenen Ast fest. Er ist das Einzige, was uns geblieben ist von dem, was uns wichtig war; von der Zeit auf diesem Baum der Erfahrung, dort oben in der Baumkrone, von der aus wir doch eigentlich in eine rosige Zukunft geblickt haben. Diese „Weitsicht“ haben wir nun auf dem Boden der Tatsachen solange verloren, bis wir einen neuen Baum erklimmen und damit eine andere Perspektive schaffen. Bis dahin bleibt uns der Horizont verborgen hinter einem dichten Blätterdach, wir irren deshalb noch oft einige Zeit im Schatten der Bäume herum und verlieren schlimmstenfalls vollkommen die Orientierung mit dem abgebrochenen Ast in den mittlerweile steifen Fingern.

Ein anderes Szenario im Wald unseres Lebens ist das verzweifelte, erneute Erklimmen desselben Baums. Man möchte dahin zurück, wo man gerade herabgefallen ist und müht sich ab – immer noch mit dem abgebrochenen Ast in der Hand – wieder hinauf zu finden. Betrachtet man all das aber realistisch, ist die Stelle, an der wir sicher bis zum Sturz gestanden haben, mittlerweile zerstört, eine Neue nur schwer zu finden. Und außerdem klettern wir immer noch mit diesem verdammten, alten Zweig in der Hand und das macht alles nicht einfacher.


„Du musst loslassen“, ein weiterer Satz, der oftmals fällt, wenn es um Abschiede geht: „Du musst loslassen, ansonsten lässt es dich nicht los!“. Auch das hört man nicht gerne, auch das ruft Widerwillen in einem hervor, erinnert uns doch das abgebrochene Stück Holz in unseren Händen viel zu sehr an das, was wir zwar verloren haben, aber noch nicht bereit waren, zu verlieren und deshalb neigen wir dazu, es noch lange Zeit mit uns rumzuschleppen.


Damit machen wir uns alles jedoch nur schwerer, als es eh schon ist, einen Baum hochzuklettern, wenn man weder einer Äffchengattung angehört noch begeisterter Boulderer ist. Deshalb gehört zu der ersten Lektion bei einem schmerzhaften Abschied, den Ast fallen zu lassen. Man muss und vielleicht sollte man ihn auch nicht einfach wegschmeißen in den nächstgelegenen Fluss, der in dem Wald unseres Lebens fließt und das Stück Holz auf nimmer Wiedersehen auf den Wellen davonträgt. Besser ist es, den Ast einfach an Ort und Stelle zu Boden zu legen und als eine Art Mahnmal zu betrachten, welches einen immer daran erinnert, warum dieser Baum nicht ein weiteres Mal zu erklimmen ist: Der Halt ist mit diesem Ast verloren gegangen.


Und wenn wir uns damit diese Wahrheit vor Augen führen, wenn wir damit akzeptieren, dass es kein Zurück mehr gibt und insbesondere, warum es kein Zurück mehr gibt, dann ist der Abschied vollzogen. Von diesem Moment an können wir Ausschau nach einem neuen Baum halten, einer neuen Herausforderung, einem neuen Ziel in unserem Leben, von wo aus wir wieder eine freie Sicht haben auf all das Gute, was noch kommen mag. Zugleich können wir aber auch zurückschauen, auf den alten Baum, dessen Geschichte wir zurückgelassen haben. Er wiegt sich in unserem Rücken als Teil unserer Vergangenheit im Takt des frischen Windes, welcher nun wieder durch unser Haar streicht, nachdem wir in den Wipfeln eines neuen Baumes stehen und in eine ereignisreiche Zukunft blicken.

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