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Von einem neuen Gefühl...

„Sentimentalität“ war lange ein Begriff, den ich persönlich nur als Wort aus dem Duden kannte. Das deutsche Wörterbuch definiert dieses Gefühl als „allzu große Empfindsamkeit“ bzw. „Rührseligkeit“ – zwei Worte, mit denen ich mich bisher nicht wirklich identifizieren konnte. Das Konzept von Sentimentalität war mir zwar bekannt, aber ich habe mich immer für „zu rational“ und für „zu pragmatisch“ gehalten, um diesem Gefühl anheimzufallen. Selbst wenn romantische Beziehungen, welche über Jahre gingen, endeten, habe ich nicht so empfunden. Es überwog immer der Optimismus und die Neugierde auf das Kommende.

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Aber seit heute weiß ich, auch ich kann sentimental werden, auch ich kann „Rührseligkeit“ spüren, auch ich neige zu „allzu großer Empfindsamkeit“. Ich bin letzte Woche eines morgens aufgestanden und das Gefühl, nein, die Gefühlsmixtur übermannte mich wie aus dem Nichts. Hatte ich mich zuvor über die Zusage für ein Bewerbungsgespräch an einer neuen Uni gefreut und sah meiner Disputation mit positiver Erwartung entgegen, wurde mir plötzlich klar, was dies alles im Umkehrschluss bedeutete: Die Trennung von dem Team, mit dem ich jetzt seit über vier Jahren zusammengearbeitet hatte. Von dem Team, das über diesen Zeitraum immer mehr und mehr zu meiner eigenen, kleinen „wissenschaftlichen Familie“ geworden war. Und von dieser wissenschaftlichen Familie rückt nun die Trennung immer näher. Eine Trennung von einer Doktormutter, die mich stets inspiriert und unterstütz hat; von einem „Arbeitsehemann“, mit dem ich sogar schon ein Bett und eine Decke geteilt habe, und von den Hilfskräften, deren Werdegang ich mit einer Art „elterlichem Stolz“ verfolgt habe. Auch weitere Mitglieder aus dem Institut sind mir sehr ans Herz gewachsen und die Sommerfeste vom sowie andere interne Feierlichkeiten werden mir immer in positiver Erinnerung bleiben. Ich danke euch allen für den tollen Austausch, die lieben Worte, die auch stressige Arbeitstage erträglich gemacht haben, die kleinen Geschenke auf meinem Schreibtisch oder einfach auch nur ein freundliches „Hallo“ mit einem echten Lächeln auf dem Gang.

Und vielleicht ist es an dieser Stelle den Leserinnen und Leser bereits bewusst geworden: Dieser anstehende Abschied macht mich zum ersten Mal in meinem Leben sentimental. Zum ersten Mal in meinem Leben gehe ich nicht nur mit einem lachenden und einem weinenden Auge, sondern mit einem lachenden und einem „sturzbachheulenden“ weinenden Auge.


Während ich das hier schreibe, steigen mir auch schon wieder die Tränen in die Augen – in beide sogar – und mein Herz zieht sich zusammen. Natürlich muss ich auch hier pragmatischer Weise anführen, dass die letzten vier Jahre nicht nur aufgrund meines Teams die wahrscheinlich bisher glücklichsten meines bewussten Lebens waren. Es waren auch viele äußere Umstände, die sich verbessert haben, ich bin in meiner persönlichen Entwicklung weitergekommen und habe meine berufliche Erfüllung in der Wissenschaft gefunden. „Historikerin“ wurde von einer abstrakten Berufsbeschreibung zu meiner Lebenswirklichkeit – auch wenn ich noch nicht von TerraX für ein Interview eingeladen wurde. Außerdem habe ich mein erstes Buch geschrieben und „meine Mägde“, wie ich die Hauptprotagonistinnen meiner Dissertation gerne nenne, haben mir gezeigt, wie wertvoll meine Arbeit ist. Auch sie werden mir fehlen, sie und ihre Geschichten, die noch lange nicht auserzählt sind. Aber es ist wahrscheinlich unvermeidbar, meinen Forschungsfokus in Zukunft einem anderen historischen Interessensbereich zuwenden zu müssen… Jedoch muss ich gestehen, dass dies wiederum meine Neugierde entfacht, die einige Tränen trocknet.


Und allgemein werden auch die anderen Tränen wieder trocknen. Da steht so viel Neues an, auf das ich mich freuen, das mich neu faszinieren und das mich ein bisschen fordern kann und wird. Ich bin gespannt auf all das Zukünftige und gleichzeitig um mehr als nur eine Erfahrung reicher – ich weiß nämlich u.a. nun endlich, was Sentimentalität wirklich bedeutet. Und an letzter Stelle möchte ich noch in Bezug auf den augenscheinlichen „Verlust“ meines Teams meine Mum zitieren (mit typischen Mütterredewendungen):  „Aus den Augen heißt ja auch nicht aus dem Sinn“. Und das nehme ich mir zu meinem momentan sehr sentimentalen Herzen.

1 Comment


Jacqui Tu
Jacqui Tu
Jul 13

Du sprichst mir aus dem Herzen, denn auch ich lasse meine Schulfamilie zurück, deine Worte beschreiben, was auch ich fühle.

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