#nähkästchen: Brief an mein 18-jähriges Ich
- Jacqueline
- 28. Feb. 2021
- 4 Min. Lesezeit
Mein liebes 18-jähriges Ich,
wenn du mich jetzt sehen würdest, was würdest du sagen? Wärest du desillusioniert, weil manches nicht so gelaufen ist, wie du es dir vorgestellt hast? Wärest du vielleicht zunächst enttäuscht von dem, was ich aus deinem Leben gemacht habe oder stolz auf mich? Würdest du denken, dass ich langweilig geworden bin oder anerkennen, dass Wünsche, Träume und Ansichten sich ändern können?
Damals, vor fast acht Jahren, war dein größter Traum nach Köln zu gehen, in einer WG zu wohnen und irgendwas mit Medien zu studieren. Doch alles kam anders; du zogst nach Düsseldorf, studiertest ein Semester lang Medien- und Kulturwissenschaften und merktest dann, dass all dies nichts für dich war (später dann auch das Leben in einer WG), dass alles doch nicht so einfach war, wie du dachtest. Du hattest hochfliegende Träume, die vielleicht der ein oder andere ältere Mensch als „illusorisch“ abstempeln würde, aber ich tue das nicht. Ich habe gelernt, dass dies zum Leben dazugehört – ein gewisses Nicht-Besser-Wissen, eine gewisse Naivität, ein bisschen Nase-Weiß-Mentalität. Und ich werfe dir das nicht vor, ich bin dir dankbar dafür, denn – was du vielleicht Fehler nennen würdest – waren für mich die Wendepunkte, die dafür gesorgt haben, dass ich mich weiterentwickeln konnte und nicht mehr du bin.
Hättest du nämlich nicht dein Leben in Düsseldorf zurückgelassen, wärst nicht nach Aachen gegangen, hättest dort nicht Deutsch und Geschichte auf Lehramt studiert, dann wäre ich nicht als die Person hier, die ich nun mal bin. Alles wäre anders gelaufen, ich wäre anders und, ob ich diesen Brief nun an dich schreiben würde, wäre ebenfalls ungewiss. Doch dieser Brief ist mir wichtig, dieser Brief ist ein kleines Tribut an dich, die du so unerschrocken, voller Visionen und Illusionen damals dein Elternhaus verlassen und dich, fast möchte ich sagen „tollkühn“, in dein Leben gestürzt hast. Du glaubtest, du wärest nun erwachsen – nur, weil du nun Auto fahren, bis zum Ladenschluss im Club bleiben und legal Hochprozentiges kaufen durftest. Doch ich muss dir sagen, du irrst dich und das ist okay, Erwachsensein ist nämlich das Ergebnis vom Erwachsenwerden und darin bin ich momentan selbst mit fast 26 Jahren noch vollkommen involviert.

Vielleicht fragst du dich nun
, was denn mehr hinter dem Erwachsensein stecken mag als das, was du momentan siehst; als all diese gesetzlichen Freiheiten und Pflichten sowie irgendwann mal einen Job zu haben und einen Hosenanzug tragen zu müssen. Ich kann dir darauf nur eine vage Antwort geben, denn – wie gesagt – habe ich selbst das vermeintliche Ziel des Erwachsenseins noch nicht erreicht und frage mich an mancher Stelle auch, ob es dies überhaupt gibt. Ich kann dir, liebes 18-jähriges Ich, an dieser Stelle nur sagen, dass einiges mehr zum Erwachsenwerden dazugehört - fernab von der Formung des beruflichen Werdegangs und (finanzieller
) Unabhängigkeit. Es geht hierbei nämlich ebenfalls darum, Dinge mehr zu hinterfragen, sich selbst zu reflektieren, tiefere Einblicke in verschiedenste Zusammenhänge zu erhalten und vor allem, dass Träume, Wünsche sowie Ansichten sich ändern können. Aber natürlich auch darum, eine Steuererklärung zu machen.
Trotzdem ist der vorletzte Punkt wohl einer der Relevantesten auf dieser Reise: Du z. B. hast dich nie für Politik interessiert, sie war dir zu trocken, zu lebensfern und zu langweilig. Du glaubtest damals, dass oberflächliches Beliebtsein wichtig und viele „Freunde“, die einen wie einen Honigtopf umfliegen, der Beweis für einen guten Charakter wären. Du träumtest von einem Freund, der eine Mischung aus schwedischem Sportler und Disneyprinz sein sollte, wie du ihn aus Filmen kanntest. Außerdem stand auf deiner imaginären To-Get-Liste ein Job, in dem du ständig nur auf Social Media unterwegs bist, Fotos postest und wichtige Hashtags setzt. Vielleicht noch mit einem Spritzer Promi-Gossip.
Aber schau‘ mich bzw. dich jetzt an: Ich setze mich mit Politik auseinander, weil ich gemerkt habe, welch großen Einfluss diese auf mein Leben und die Gesellschaft hat, in der ich mich jeden Tag bewege. Ich habe – genau wie du damals – immer noch recht „wenige“ Freunde, aber sehe darin kein Defizit mehr, sondern ein Privileg. Denn dies bedeutet, dass es Menschen gibt, die ich sehr gut kennen darf und dich mich sehr gut kennen dürfen – und wir uns trotzdem oder gerade deswegen so nahestehen. Soziale Oberflächlichkeiten hingegen empfinde ich immer mehr als Belastung, ob in freundschaftlichen oder auch romantischen Beziehungen – so fällt bei einem Partner meine Wahl auch nicht mehr auf den schwedischer Disneyprinzen, der nach einem Abend mein Gesicht vergessen hat und deshalb mit einem Schuh nach mir suchen musste oder mich ungefragt einfach küsste, während ich (in einem gläsernen Sarg lag und) mich nicht wehren konnte. Viel wichtiger ist es mir, eine Person, einen echten Menschen, an meiner Seite zu haben, die mehr als eine platte Hollywood-Fassade voller „romantischer“ Klischees ist und mich auch ohne glitzerndes Ballkleid und gläserne Schuhe mag– aber ja, liebes 18-jähriges Ich, blond und blauäugig finde ich immer noch gut.
Und was vielleicht auf den ersten Blick, als genau das erscheint, was du dir gewünscht hast – nach Köln ziehen und im Social-Media-Management arbeiten – war nicht so glamourös, wie du es dir vorgestellt hast, und auch nur ein Abschnitt auf meinem Lebensweg, der nun enden wird.
Und doch bin ich dankbar dafür, dass du genau diese Träume hattest, dass deine Zukunftspläne mich so lange begleitet haben und ich sogar die Möglichkeit hatte, diese in die Tat umzusetzen. Aber es kam, wie es kommen musst: Genau das, was ich als Essenz des Erwachsenwerdens und auch des Lebens an sich festgelegt habe, ist eingetreten: Träume, Wünsche und Ansichten änderten sich und deshalb bin ich nun auf einem neuen Weg, in eine neue, alte Stadt, in ein ganz anderes Leben, als du und selbst ich es mir vor einem halben Jahr noch gedacht hätten. Aber ich sage dir, genau das macht es aus, genau das ist es, was mich immer wieder fasziniert und genau das ist es, was du noch nicht verstehst, aber ich nun verstanden habe. Deshalb lege ich dir ans Herz, dein Leben genauso zu leben, wie du es gerade für richtig hältst bzw. gehalten hast, liebes 18-jähriges Ich. Probiere aus, lasse dich überraschen, lerne, mache Fehler und weiß es eben an mancher Stelle auch nicht besser, denn ansonsten würden wir uns niemals treffen – hier an genau diesem Punkt in unserem Leben.
In Liebe Jacqueline
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