Es war ein eher schleichender Übergang. Ein Übergang, von dem einen Dasein zum anderen. Ich habe eine Grenze übertreten, die mein Leben verändert hat. Eine Veränderung, die mir ein triumphierendes Lächeln, aber gleichzeitig auch eine wehmütige Träne ins Gesicht zaubert.
Ein jeder von euch fragte sich nun wahrscheinlich: „Worüber redet die Alte denn jetzt schon wieder so geschwollen?“ und ich antworte euch – nun weniger geschwollen, weil die heiße Luft aus meinem Gerede durch diese nicht allzu feine Spitze entweicht ist: Ich spreche über das Ende meines Studentendaseins und den Anfang meines Berufslebens.
Ja, ihr habt richtig gehört. Ich bin nun offiziell kein Teil des universitären Lehr- und Lernbetriebes mehr, meine Masterarbeit ist seit März korrigiert und seit einigen Wochen habe ich tatsächlich mein Abschlusszeugnis in meinem Besitz. Wo genau es gerade liegt, ist mir aber bereits entfallen, es ist dann doch schon einige Zimmer-Umräum-Aktionen her, dass ich es aus meinem Briefkasten genommen habe.
Und doch, auch wenn der vorerst letzte Teil meiner universitären Karriere jetzt bereits verschollen ist, sind die Gedanken an jene Zeit noch sehr präsent und sorgen mitunter dafür, dass ich fast traurig darüber bin, nicht mehr durch die etwas abgeschrammelten Gänge der Germanistik zu laufen, den kalten Uringeruch der Damenklos in meiner Nase zu haben und mit meinen mehr oder minder geliebten Kommilitonen an einem Mittwochabend von 18:30Uhr bis 20Uhr über Goethes Schwadronaden in seiner Italienischen Reise zu schwadronieren.
Meine Studentenzeit hat mich einfach geprägt; jeder Moment auf seine eigene Weise – und manche auch auf die Art, dass ich den roten Handabdruck von einem gediegenen Facepalm noch einige Stunden nach dem Seminar auf der Stirn trug.
Und trotzdem vermisse ich fast schon die wunderbaren Diskussionen, die wir in unseren Seminaren führten, in denen es z. B. immer mal wieder vorkam, dass Beiträge sich unangenehm doppelten, weil einer etwas sagte, was kurz zuvor ein anderer zum Besten gegeben hatte. Ein Phänomen, das wahrscheinlich den meisten aus der Schulzeit bekannt ist und sich an der Uni nur insofern unterscheidet, dass bis zu zwei weitere studentische Beiträge zwischen der einen Wortmeldung und der anderen Wortmeldung in Grün liegen können und somit nicht zwangsweise direkt aufeinanderfolgen müssen. Warum das so ist, habe ich noch nicht vollends geklärt: Einerseits könnte es auf das Nachlassen des Gedächtnis‘ hinweisen, andererseits aber auch auf eine Steigerung bzw. Regeneration des Erinnerungsvermögens infolge des Sinkens pubertärer Hormone.
Bleiben wir bei den Sozialstudien, so gibt es eine weitere interessante Besonderheit, die hier Erwähnung finden kann: Die wunderbare Entscheidung mancher Kommilitonen mitten im Seminar vollkommen individuelle Fragen zu klären oder direkt persönliche Dilemmata auszudiskutieren, sobald sich auch nur im Angedeutet-Entferntesten die Möglichkeit dazu ergab. Trotzdem nahmen sich die heroischen Dozenten in 90 Prozent der Fälle der vorgetragenen Probleme an und versuchten eine Lösung zu finden, während die eine Hälfte des Kurses nun noch unauffälliger auf ihren Handys rumtippten und die andere Hälfte sensationslustig das Geschehen verfolgte. In diesem Kontext wurde mitten im Seminar über mittelalterliche Literatur die ängstliche Frage, inwiefern man – in einem individuell-speziellen Bezug von Hausarbeit zu Bachelorarbeit – sich selbst plagiieren könnte, beantwortet oder auch in einer Vorlesung persönliche Koordinationsschwierigkeiten von einer unbenoteten 30-minütigen Klausur und der gerade zuschreibenden Bachelorarbeit aus der Welt geschafft.
Infolge des unerschütterlichen Verständnis‘ meiner Dozenten, hinter dem sich vielleicht auch das ein oder andere Augenrollen verbarg – da bin ich mir sicher – verließen wir alle aber stets mit getrockneten (Lach-)Tränen das Seminar oder die Vorlesung, sodass ein jeder sich dann auch endlich wieder den eigenen persönlichen Problemen widmen konnte.
Darüber hinaus gibt es noch etwas anderes, dass ich an meinem Studileben ein bisschen vermisse, nämlich nicht nur auf persönlicher, sondern auch auf fachlicher Ebene von meinen Mitstudenten überrascht zu werden. Besonders eine Begebenheit ist mir diesbezüglich im Gedächtnis geblieben, die sich bereits am Anfang meines Studiums abgespielt hat. Ich besuchte zu der Zeit ein Seminar im Fachbereich „Ältere Literatur“ und es ging darum, zu erklären, woher wir wissen bzw. erahnen können, wie man „Mittelhochdeutsch“ (die mittelalterliche Form der Deutschen Sprache, die in ihrer Lautung durchaus vom heutigen Deutsch abweicht) ausgesprochen haben könnte. Die Antwort ward schnell gefunden: Natürlich durch Aufnahmen, wusste ein Kommilitone oder eine Kommilitonin von mir und brachte Licht ins dunkle Mittelalter. Ich gebe zu, eine steile These, aber vielleicht nicht ganz zeitgemäß, obwohl es schon eine nette Vorstellung ist, wie ein mittelalterlicher Minnesänger mit einem Ghettoblaster vor seiner Angebeteten steht.
Aber auch wenn ich gerade meine etwas zynische Zunge nicht ganz in Zaum halten konnte, so stimmt es schon, was ich am Anfang gesagt habe: Ich blicke mit Wehmut auf die Zeit zurück und mit Neid jeden an, der noch studiert. Ich habe mein Studentendasein genossen und nicht nur wegen der ganzen Freizeit und Freiheit, sondern auch, weil ich in meinem Studium viel gelernt habe, mich mit Dingen beschäftigen musste, mit denen ich niemals sonst in Kontakt gekommen wäre oder die ich einfach abgelehnt hätte. Und auch, wenn ich zumeist in meiner Ablehnung bestätigt wurde – was mir übrigens auf eine ganz spezielle Art und Weise ein Gefühl der Zufriedenheit gegeben hat – bin ich dann doch das ein oder andere Mal positiv überrascht worden. Ich mag zwar immer noch nicht Goethes fragwürdiges Geschwafel über italienische Steine, aber dafür habe ich Artusromane lieben gelernt, endlich mal das Nibelungenlied gelesen und mich mit den Peloponnesischen Kriegen beschäftigt. Ich habe in Form einer Hausarbeit mit Kaiser Leopold II. seine Hochzeit gefeiert, bin mit Florio durch die romantische Gefühlsverwirrungen und den Realitätsverlust in Eichendorffs Mamorbild gegangen, habe mit Theophanu um den Thron und die Regentschaft gekämpft und mich durch viel zu viele praxisferne Bildungstheorien gequält… aber das ist ein anderes Thema, das eher in eine #meckerecke gehört anstatt in diesen sarkastisch-sentimentalen Rückblick auf meine Zeit an der Uni, den ich hiermit beende.
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