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AutorenbildJacqueline

SCHATTENTHEATER

An manchen Morgen, da wacht man auf, doch den Rest des Tages ist es immer noch so, als würde man schlaftrunken durch das Leben wandeln. Man taumelt eher dahin, bewegt sich nur physisch fort, während man psychisch in einer Welt von gehässigen Gedanken, grauen Gefühlen und schwatzenden Schatten verweilt. Der Wunsch, weiterzuziehen, ist da, doch man ist wie gelähmt und das Sonnenlicht der Realität verschwimmt hinter den Nebeln des Gewissens. Positive Gefühle, Wärme und Herzlichkeit dringen nicht zu einem durch und die Helligkeit des Tages scheint, nur noch mehr Schatten zu werfen, welche von Minute zu Minute wachsen und länger werden, bis sie schlussendlich eine Art Käfig ums Selbst geschlossen haben.

In solchen Momenten fühle ich mich wie Rilkes Panther, streiche wehmütig durch meinen Schattenpalast und mir ist es, als ob es tausend Schatten gäbe und hinter tausend Schatten keine Welt. Und trotzdem, ganz tief an der verborgensten Stelle meines Herzens, die selbst die Schatten mit ihren gestaltlosen, kalten Fingern nicht erreichen können, weiß ich, es wird bald die Stunde schlagen, zu der sich der Vorhang öffnet, das Licht und die Wärme zurückkehren, mein Horizont sich wieder weitet und ich mich frei fühlen werde. Das Ende des Schattentheaters ist nahe.

Nichtsdestotrotz sind solche dunklen Tage, über die keiner gerne spricht, die aber jeder mal hat, nicht schönzureden. In diesen Stunden gibt man sich doch zu oft geschlagen von der vermeintlichen Tatsache der Hilflosigkeit und einem bleibt nur der Rückzug in die dunkelste Ecke seines gedanklichen Seins. Dabei schlingt man seine Arme um das eigene zitternde Selbst und hofft ein seltenes Mal auf die Physik, die uns in der Abwesenheit von jeglichem Licht ebenfalls die Abwesenheit von Schatten verspricht. Doch ich glaube, jeder von uns kennt die Wahrheit: Unsere Köpfe sind nun mal nicht das Physiklabor in der Schule, sondern an solchen Tagen das pure Chaos, in dem neben bewiesenen Fakten schwarztriefende Sicherheitslücken existieren, in dem neben dem vertrauenserweckenden Sein der vernichtende Schein herrscht, in dem wissenschaftliche Entdeckung von irrsinnigen Irrtümern verdrängt werden können.

Nimmt man diese Tatsache aber an, ist sich dem bewusst, was in seinem Kopf Gegensätzliches nebeneinanderher leben kann und geht in Gedanken noch einen Schritt weiter, kommt man zu einem tröstlichen Bewusstsein: Wenn Angst existiert kann, dann kann ebenso Mut in einem erwachen. Wenn man Trauer fühlt, dann ist dort auch Platz für Freude. Wenn Unsicherheit einen zu ergreifen vermag, dann vermag es ebenso eine Woge der Zuversicht. Wo Schatten ist, kann das Licht nicht weit sein.

Und trotzdem, wenn das Leben uns statt süßen Sommertagen, aufwühlende Herbststürme oder die Eiseskälte des Winters schickt, dann ist dies schwer zu ertragen. An den Schädelwänden malen sich sodann die verzerrtesten Bilder der Angst, bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet, und wider besseres Wissen glaubt man für den Moment darin, die Wahrheit zu erkennen. Jedoch bestehen diese gedanklichen Schatten nur aus vergilbten Polaroids unserer Kindertage, aus zusammenhangslosen Schnappschüssen unseres Lebens und aus vollkommen absurden Zukunftsszenarien … nichtsdestotrotz sind diese Schatten in jenen Augenblicken einfach da und selbst die Gegenwart erscheint gegen sie zweifelhaft, obwohl sie doch nur Produkt aus giftgefüllten, aufgeblasenen Eindrücken von dem, was war, ist und sein könnte, sind.

Wir kämpfen einen Kampf in solchen Momenten, einen Kampf gegen einen scheinbar gesichtslosen Gegner. Doch schauen wir genauer hin, erkennen wir uns selbst. Deshalb ist es wichtig, zunächst all die negativen Gedanken in der Form zu akzeptieren, dass wir sie als solche wahr- aber eben nicht blind in uns aufnehmen. Ein Schritt, der auch mir trotz des Wissens darum, nicht immer einfach fällt. Ein Schritt der manchmal unmöglich erscheint, selbst zu gehen. Und doch gehen wir ihn immer wieder. Wir richten uns auf, mal dauert es länger, mal kürzer. Wir streichen unsere zerknitterten Kleider glatt und machen uns bereit, die Schlacht gegen das Schattenheer zu schlagen. Es kann ein kleiner Tropfen Zuversicht in das Kommen von besseren Tagen sein, der uns antreibt oder auch der Rest geretteten Bewusstseins, der uns sagt, dass Gedanken nicht den Regeln der Realität unterstehen und damit sich frei in jede Richtung – zerstörerisch wie auch stärkend – formen können. Was es auch ist, am Ende schaffen wir es, dem heranrollenden Schattenheer standzuhalten und gewinnen mehr als nur diese Schlacht.

Wir gewinnen Stärke, wir gewinnen Mut und Zuversicht. Am Ende eines solchen Tages dürfen wir uns dem Siegestaumel hingeben, denn dies war mehr als eine Einzelleistung. Es war eine Investition in eine glücklichere Zukunft, denn jedes Mal, wenn wir künftig kämpfen werden, wird es uns zwar immer noch nicht leichtfallen, aber ein kleines bisschen einfacher. Lebensglück bedeutet demnach für mich auch nicht ein dauerhaftes, hohles Glücklichsein, sondern auch mal die schlammigen Tiefen seiner Selbst zu erkunden und daraus Gold zu schöpfen. Das Gold innerer Stärke und der Wertschätzung gegenüber all den positiven Dingen im Leben, die uns trotz des Schattentheaters jeden Tag passieren.

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