Weihnachtsmarkt– irgendwo zwischen Weihnachtsromantik und vollkommener Klaustrophobie. Immer wieder fragt man sich ehrlicherweise „Musst du auch wirklich dieses Jahr wieder dorthin? -Das ist doch nur Lametta behangener, konsumorientierter Wahnsinn!“ … und doch stiefelt man alle Jahre wieder los. Natürlich tut man dies in seiner dickste Daunenjacke, um sein „Revier“ zu markieren – denn mehr Platz in dem Gedränge als die Ausdehnung des Innenfutters des Anoraks bleiben einem nicht. Da ist es auch egal, ob draußen minus 2 Grad sind oder plus 11Grad sind – auf dem Weihnachtsmarkt gehört eine Ausstattung á la Skiausflug einfach dazu. Schon aus dem Grund, weil ein Bikini die größere Gefahr birgt, sich nach einem kräftigen Anrempeln an dem überschwappenden Glühwein übel zu verbrennen. Safety first also!
Achja der Glühwein, ich glaube, für die meisten eigentlich DER Grund, um dem Weihnachtsmarkt mehr als eine Stippvisite abzustatten. So wird der Besuch gerne mal auf die Länge einer komplizierten Herz-OP ausgeweitet, nach der die Glühweinkessel ausgeblutet sind und die „Chirurgen“ am besten direkt mit einer Kochsalzlösungsinfusion versorgt werden sollten. Aber mit dem Glühwein hat man es auch nicht leicht! Da braucht man auch mal was länger für, denn immerhin muss man überlegen, ob man einfach zum besten Glühweinstand vom letzten Jahr gehen soll oder ob das Qualitätspendel nicht dieses Jahr in eine andere Richtung ausschlagen könnte. Da hilft eigentlich nur sich durchzuprobieren, um spätestens nach dem fünften Glühwein festzustellen, dass eine nüchterne Feststellung nicht mehr möglich ist. Aber man muss diesem alkoholischen Heißgetränk auch wirklich zugutehalten, dass er verdammt lecker ist – jedenfalls wenn man dann nach langen, intensiven, qualitativ-anspruchsvollen Testreihen die glühende Weinkönigin gefunden hat, die mit ihrer burgunderroten Farbe, dem würzigen Bouquet und der feinen Süße betört, eine Geschmacksexplosion auf der Zunge auslöst und einem ein ekstatisch- genießerisches „Is lekka, noch zwei … oder nee, reich lieber mal drei rübber!“ entlockt.
Das einzige, was einen dann vom Glühweinstand wegbewegen kann, ist der Duft einer frischen Bratwurst oder der von Reibekuchen. Alle anderen Stände verschwimmen zu einer undefinierbaren Masse an mundgeblasenen Frühstücksbrettchen mit handgeklöppelten Filzmotiven drauf, die aus Bienenwachs, der aus der Imkerei kommt, die nebenbei auch noch echte Engel aus dem Erzgebirge züchtet, gefertigt sind. Und so macht man sich dann doch willig und gleichzeitig widerwillig auf den Weg durch das Gedränge, der Kopf schweift hin und her, abschätzend welche Fressbude in kürzester Zeit erreichbar bzw. am nächsten zu der seiner derzeitigen Position scheint. Gäbe es hierfür Google Maps würde wohl keiner die landschaftlich schönste Strecke auswählen! Hat man nun die 5m Luftlinie in 5 Minuten erfolgreich zurückgelegt, hat man zwar keinen Streckenrekord aufgestellt, aber ist doch am Ziel seiner Begierden angelangt. Jetzt muss man nur noch auswählen, welche Wurstlänge dem Aufwand für den zurückgelegten Weg entspricht. Man entscheidet sich hier also für den halben Meter Bratwurst, denn die angemessenere 5m- Edition ist komischerweise noch eine Marktlücke. Nach weiteren zehn Minuten Wartezeit, in denen einem fünf Mal auf den Fuß getreten, Senf auf die Kleidung geschmiert, die Nase mit drei Mützen-Fellbommeln gekitzelt und die alte Katzenhaarallergie mit einem eigentlich als Fake-Fur ausgezeichneten Mantel in Erinnerung gerufen wird, bekommt man endlich seine Bratwurst in die Hand gedrückt. Doch jetzt steht man vor einer neuen Problematik: Einerseits besteht die große Gefahr irgendjemandem das Ende seines Grillgutes ins Auge zu hauen oder die Möglichkeit, dass im Gedränge quasi unbemerkt irgendjemand einem einfach die Hälfte seiner Bratwurst wegfuttert. Somit wird das Verspeisen dieser Köstlichkeit zu einem akrobatischen Akt mit James-Bond-liker Aufmerksamkeit: Ständig Wurstende- Auge- Entfernungen abschätzend und immer auf der Hut vor einem tückischen Angriff auf die gebratene Köstlichkeit tritt der eigentliche kulinarische Genuss mehr und mehr in den Hintergrund.
Ist dann diese Hürde genommen und die Bratwurst ohne Zwischenfälle verdrückt, kehrt man in die ewigen Glühweingründe zurück. Erschöpft von den Strapazen der Jagd nach etwas Essbaren muss man sich erstmal noch einen Glühwein zur Stärkung gönnen ... und dann noch einen zweiten, um Mut zu finden, sich noch einen Crêpe als Nachtisch zu holen und einen weiteren, um den dünnen Pfannkuchen herunterzuspülen, den nächsten, um noch einmal auf den schönen Abend zu trinken, einen weiteren für den Heimweg … und den letzten, um die Besinnlichkeit des Weihnachtsmarktes in Ehren zu halten!
Und damir Prost, ihr Lieben!
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