Sigmund Freud – oder wie ich ihn gerne nenne „Sigi Leid“ ist einer der größten Psychologen seiner Zeit, bis heute können wir gefühlt alles, was wir tun und lassen, mit seinen Theorien auf unsere irgendwie missratene Sexualität beziehen. Doch das soll heute nicht das Thema sein. Warum ich den alten Sigi zu mir auf den Blog gebeten habe, hat andere Gründe bzw. einen anderen Anlass. Ich befinde mich momentan in einer kleiner Quarter-Life- Crisis um es mit Hipster-Deutsch auszudrücken, wissenschaftlich- physikalisch könnte man es auch als „Leben in einem Vakuum zwischen Erwachsen-Sein und letzten kindlichen Allüren“ bezeichnen. Wenn man es aber mit den Worten des guten Sigi sagen und mithilfe einer seiner Theorien verdeutlichen möchte, dann befindet sich mein ICH wohl gerade in einem World-Material-Arts-Fight zwischen meinem ES und meinem ÜBER-ICH. Aber bevor ich euch diesen Kampf an einem Beispiel aus meiner momentanen Lebenslage erläutere, möchte ich euch kurz meine Multiple-Persönlichkeit vorstellen – ich bitte an dieser Stelle um Aufmerksamkeit und Applaus, denn ich präsentiere euch Dr. Sybille Cordula Schmitz- Schulze in der Rolle meines ÜBER-ICHs. Sie ist leidenschaftliche und dazu auch noch perfekte Perfektionistin, sie führt akribische Listen über Fehlerquoten, ihr ganzes WG-Zimmer in meinem Kopf besteht aus Regalen bis an meine Schädeldecken und in diesen Regalen stehen Ordner voller „Wenn-Dann-Regelungen“. Sie ist keine Person, die Kompromisse eingeht, sie kennt nur Schwarz und Weiß, Grauabstufungen sind ihrer Meinung nur möglich, wenn der Drucker – „Dieses verwöhnte und schlecht erzogene Gerät“ wie sie ihn gerne nennt – mal wieder nicht genug Energie (oder Druckerpatrone) besitzt, um klare schwarze Buchstaben und Zahlen aufs Papier zu spucken.
Auf der anderen Seite in meinem Kopf wohnt das ES, Schakkelin-Chantal, prähistorische Hedonistin und stets auf ihr eigenes Wohl und natürlich auf ihre Bedürfnisbefriedigung aus. Ihr Zimmer ist mehr eine Höhle, die von dem Feuer ihres Temperaments beleuchtet wird, das stets unruhig flackert oder - als hätte man Benzin hineingekippt – apokalyptisch die Wände ableckt. Im Gegensatz zu Frau Dr. Sybille Cordula Schmitz- Schulze kennt Schakkelin- Chantal allerhand Farben, Grautöne und vor allem Emotionen. Ihre Lieblingsemotion ist die vollkommen blinde Begeisterung, obwohl der rotzfreche Trotz durchaus auch gerne präsentiert wird.
Und in dem Durchgangszimmer zwischen Schakkelin- Chantal und Frau Dr. Sybille Cordula Schmitz- Schulze da wohnt das ICH. Ich bitte an dieser Stelle um ein mitleidiges Seufzen, denn ja, es ist so schlimm, wie ihr es euch noch niemals vorstellen könnt. Mein armes, kleines ICH sitzt mitten in diesem Krisengebiet, vor 10 Jahren hätte man das Durchgangszimmer wohl als Gaza-Streifen bezeichnet oder mit allgemein- historischem Vokabular als „Pufferstaat“ identifiziert. Der dritte Mitbewohner in meiner kleinen Gehirn- WG ist dementsprechend entweder damit beschäftigt, Asche vor der Tür von Schakkelin-Chantal wegzukehren oder etwaige Zettel mit Regeln, Verhaltensformeln und sonstigen Doktrinen wieder durch den Türspalt von Frau Dr. Sybille Cordula Schmitz-Schulz zu schieben ... Aber eigentlich will es nur in Urlaub, mal raus aus dieser neuronalen Horror-WG, vielleicht an den schönen gelben Leberstrand oder in die wunderbare Gebirgslandschaft des Verdauungstraktes, einfach mal auf den langen verschlungenen Wegen die Seele baumeln lassen. Da es aber leider Teil eines Ganzen ist und zu diesem Ganzen traurigerweise auch seine zwei Mitbewohner gehören, kann das liebe, kleine ICH noch niemals allein die Aussicht von der nicht weit entfernten Nasenspitzen genießen – an dieser Stelle nochmals ein Runde Mitleid fürs arme, kleine ICH!
Vielleicht denken manche jetzt so: „Was ist denn daran so schlimm? Ich habe schon viel schlimmere WGs kennengelernt oder habe bereits in der Höllen-WG gelebt! Da ist doch ein Mitbewohner, der wie Rumpelstilzchen ums Feuer tanzt und eine Listenfanatikerin mit Hang zum ungesunden Perfektionismus noch nichts gegen!“. Und ich antworte darauf: „Ihr habt sie jetzt auch gerade in ihrer Ruhephase kennengelernt!“, denn, wenn wirklich Aktion von den Dreien gefordert wird, also eine Entscheidung ansteht, dann geht es da oben richtig zur Sache. Ich bitte um einen enthusiastischen Applaus, denn jetzt kommt das Beispiel:
Ich, montags abends, auf der Kneipenmeile von Aachen, mit meiner besten Freundin: Nach der Kármán- Redaktionssitzung (schaut gerne vorbei:https://blog.karman-ac.de ) wollen wir noch EIN Bierchen trinken. Frau Dr. Schmitz- Schulze ist damit ok, auch wenn sie schon wieder den dicken Ordner mit der Aufschrift „Wenn man nur EIN Bierchen trinken gehen will, dann…“ drohend in ihren Klauen hält. Mein ICH ist auch noch relativ entspannt, noch ist die Apokalypse nicht ausgebrochen und es ist sich sicher, heute kann es im Falle eines Falles auch alles händeln. Wird schon schiefgehen! Und Schakkelin- Chantal werkelt ganz leise und mit einem zufriedenen Lächeln an ihrem Feuerchen herum und jeder der Kinder hat, wird hier schon hellhörig, denn auch bei Kindern ist Stille und eine gewisse unangemessene Zufriedenheit kein gutes Zeichen. Nun gut, das erste Bier wird getrunken, es schmeckt, das zweite ist bestellt, ehe Frau Doktor etwas sagen kann, denn das ES hat sich den Hörer in die Schaltzentrale geschnappt ohne, dass die anderen beiden etwas dagegen tun konnte. „Jetzt ist aber mal gut“, schreit plötzlich Frau Dr. Sybille Cordula Schmitz-Schulze, den Ordner verkrampft in der Hand und schon puterrot im Gesicht. „Ach, das sind doch nur zwei Bier!“, versucht mein ICH zu schlichten und zusätzlich genug Platz zwischen sich und den drohend erhobenen roten Ordner zu bringen. Schakkelin- Chantal sitzt derweilen nur zufrieden grinsend in der Ecke neben dem Hörer mit der Direktleitung zur Zentrale. Plötzlich winkt es mein ICH heran, die beiden flüstern, während Frau Doktor schon anfängt zu wüten, wie wild in ihrem Ordner blättert und apokalyptische Prophezeiungen heraufbeschwört, die alle mit dem Konsum eines zweiten Gerstensaftes beginnen. „Nein, das können wir nicht machen!“, höre ich mein ICH noch verzweifelt im Gespräch mit Schakkelin-Chantal sagen, doch dann ist das ES auch schon aufgesprungen, rennt zu Frau Dr. Schmitz- Schulze, schubst sie durch ihre Tür in deren Hochburg von Bürokratie und Regelwesen und schlägt dem personifizierten ÜBER-ICH die Pforte vor der spitzen, aber perfekten Nase zu. Mit einem der weichen Sessel – die einzigen Ruheinseln meines armes, geschundenen ICHs – verbarrikadiert Schakkelin- Chantal die Tür und man hört das ÜBER-ICH wie wild gegen das Holz trommeln. Doch damit nicht genug, aus dem Türspalt schießen Papier voll mit Regeln und guten Ratschlägen wie Geschosse hervor und mein ICH muss sich eingestehen, es hat versagt. „So, das wäre erledigt", stellt Schakkelin-Chantal mit vollster Befriedigung fest und bestellt auf diesen Triumph hin
das dritte – oder ist es schon das vierte? – Bier. Und das ICH versucht seine letzten Kraftreserven zu mobilisieren, damit der Abend nicht vollkommen in dem bereits lustig lodernden Feuerchen des ES' in noch größeren Flammen aufgeht. Im Endeffekt schafft es mein gutes, braves ICH sogar, dass Schakkelin- Chantal nicht vollkommen eskaliert. „We are young, wild and free“ wird dann wenigstens zu „We are young, wild and free … and a little bit responsible!“.
Trotzdem muss mein ICH am nächsten Morgen aufräumen, während das ES nun plötzlich mit allem nichts mehr zu tun haben möchte. Es knallt nur trotzig seine Höhlen-Tür hinter sich zu, während das ICH schuldbewusst den Sessel unter der Türklinke vom anderen Nachbarzimmer wegräumt. Damit ist Frau Dr. Sybille Cordula Schmidt-Schulze entfesselt, die ihrer Wut mit einem ellenlangen Vortrag über erwachsenes und rationales Verhalten Ausdruck verleiht. Den ganzen Morgen hört man sie über die Folgen von Alkohol auf Körper und Geist dozieren, Studien über Alkoholabhängigkeit resümieren und zu guter Letzt noch den altbekannten Satz zitieren: „Solange du deine Füße noch unter der Leitung meines Gehirns hast, junge Dame..." „Du bist eine blöde Kuh!“, ertönt es nur einmal aus der Höhle, „Dich mag einfach gar keiner!“ - ein Kommentar, bei dem sich ES und ICH ausnahmsweise mal einig sind, nur dass mein ICH nicht schmollend auf dem Boden sitzt, sondern alles mal wieder stillschweigend in seinem weichen, bequemen Sessel erträgt und darauf hofft, dass auch wieder besser Zeiten kommen. - Das hoffe ich auch, denn nicht zu vergessen, das spielt sich alles in meinem Kopf ab.
Der Vorhang schließt sich, ich bitte um einen letzten Applaus und eine Spende für die nächste Therapiesitzung!
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