Es ist mal wieder soweit, euch mitzunehmen in die Tiefen meiner Quarterlife-Crisis und meines Gehirns. Wir begeben uns also heute wieder auf eine Reise, deren Ausgang ungewiss ist. Eine Reise, auf der ich euch empfehle, Schutzbrillen und Gehörschutz zu tragen, nichts anzufassen und am besten auch ein lautes Atmen zu vermeiden. Denn diese Reise führt uns mal wieder zur Heimstätte der einzelnen Komponenten meiner Persönlichkeit, die in einer Dreiraumwohnung ohne Küche oder Bad in meinem neuronalen Zentrum als Mietnomaden leben und mir an manchen Tagen das Leben zur kognitiven Hölle machen. Deshalb bitte ich an dieser Stelle noch einmal um einen schmerzlichen Applaus für die drei Hauptungeheuer meines Hirns: Dr. Sybille Cordula Schmitz-Schulze in der Rolle des ÜBER-ICHs, Schakkelin-Chantal als unvergleichbares, Stephen King taugliches ES und mein armes Ich, das vielleicht den Namen „Ungeheuer“ nicht verdient, aber ungeheuer gestresst ist.
Es folgt nun eine Szene aus meinem kognitiven Selbst, aufgenommen in den letzten Wochen und noch einmal erinnere ich an die vorangegangenen Warnhinweise, bevor der Vorhang sich öffnet:
Ich weiß nicht mehr, was es genau für ein Tag war, auf jeden Fall kein guter, denn an diesem Morgen betrat Dr. Sybille Cordula Schmitz-Schulze das Durchgangszimmer, knallte mit der Vehemenz einer aufgebrachten, dem Ordnungsfetischismus verfallenen Sekretärin eine eitergelbe Mappe auf den Tisch und rief zu einer Krisenbesprechung. Mein ICH, das noch in einer Schockstarre von dem Knall war, den der dumpfe Fall der Mappe verursacht hatte, verfiel in eine weitere Schockstarre, über die Aussicht, dass Frau Doktor nun auf Schakkelin-Chantal treffen würde.
Dieser dunklen Vorahnung entsprechend öffnete sich so gleich auch die Höhlentür zum hedonistischen Untergrund, der sich aufgrund der Platzverhältnisse in meinem Schädel auf der gleichen Etage befindet, und Schakkelin-Chantal betrat mit ihren kleinen, stämmigen Beinchen den Raum zwischen den Extremen. „Was willst du?“, blaffte mein ES Dr. Schmitz-Schulze an und kratzte sich desinteressiert den kleinen, dicken Bauch. „Ich war gerade in meinem wohlverdienten Schlaf vor meinem zweiten Frühstück“, fuhr es fort und gähnte zur Untermalung seiner Aussage noch einmal demonstrativ.
„Damit ist jetzt Schluss!“, stellte die Doktorin fest – bei der ich mich immer aufs Neue frage, warum sie einen Doktor-Titel hat, obwohl ich keinen habe – und deutete sodann auf den eitergelben Ordner, den sie selbst als sonnengelb beschreiben würde. Dann fuhr sie mit folgenden unheilvollen Worten fort: „Wir müssen jetzt erwachsen werden!“. „Warum?“, hörte man darauf mein ICH aus seinem Sessel fragen, „Also warum gerade jetzt, können wir das nicht ein Andermal in Angriff nehmen. Immerhin Schakkelin-Chantal hat nicht genug geschlafen und ihr zweites Frühstück verpasst!“. Das war ein Schlichtungsversuch, ein Versuch die Situation, die sich bedrohlich zuzuspitzen schien, vom weichen Sessel aus zu deeskalieren.
„Nein!“, war die kurze, aber präzise Antwort auf den Einwurf meines ICHs. Dr. Sybille Cordula Schmitz-Schulze deutete auf die eitergelbe Mappe, die mal wieder einen gut recherchierten Haufen an Wenn-Dann-Regelungen enthielt, und erklärte anhand einer solchen auch direkt „Wenn man am Ende seines Studiums angelangt ist, dann muss man erwachsen werden! Das ist Gesetz!“.
„Und, wenn ich das nicht will?“, wollte Schakkelin-Chantal in einem herausfordernden Ton wissen, ging ein paar Schritte auf mein ÜBER-ICH zu und wirket dabei trotzdem gefährlich, obwohl es ihr nur bis zum Saum des Bleistiftrocks reichte. „Ich will nämlich nicht erwachsen werden, erwachsen werden ist doof!“, beendete mein ES sein fundiertes Plädoyer und funkelte nun Dr. Schmitz-Schulze mit seinen kleinen, mal wahnsinnigen, mal fiesen grünen Augen an.
„Erwachsen werden gehört zum Leben dazu, wir sind jetzt in einem Alter, in dem das von uns verlangt wird. Es muss sein!“, erwiderte mein ÜBER-ICH kühl und unbeeindruckt. „Aber Erwachsensein ist doch sicher gar nicht so doof, oder?“, versuchte mein ICH, das sich nun vorsichtshalber, um im Notfall eingreifen zu können, vom Sessel erhoben hatte, einzugreifen- vergeblich. „Natürlich nicht“, gab die Doktorin ihm Recht, „Erwachsensein bringt nur ein paar Pflichten mit sich.“ Sie griff zur eitergelben Mappe und blätterte kurz drin rum, bevor sie anfing zu dozieren: „Wenn man erwachsen ist, dann steht man um 6Uhr morgens auf, um um 8 Uhr bei der Arbeit zu sein. Wenn man erwachsen ist, dann arbeitet man acht Stunden am Tag, um abends noch vier Stunden zu haben, in denen man sein Geld ausgeben kann. Wenn man erwachsen ist, dann macht man am Wochenende seine Steuer und erledigt das, was sonst in der Woche liegen geblieben ist. Wenn man erwachsen ist, dann …“.
„Dann kann man sich auch direkt aufhängen, ich will das nicht, ich will das nicht, ich will das nicht!“, unterbrach sie daraufhin mein ES und hüpfte wild und ungezügelt durch den Raum, „Das ist alles doch vollkommen blöd, blöd, blöd, blöd, blöd, blöd…“. Und beim letzten „Blöd“ schlug Schakkelin-Chantal Frau Sybille Cordula Schmitz-Schulze einfach die Mappe aus der Hand und sprang daraufhin aufgebracht zwischen den durch die Gegend fliegenden Blättern hindurch. Es wirkte wie ein verzerrter Protest-Sitin ohne das Sitzen, dafür mit einem Hauch hedonistischen Balztanz.
„Das klingt wirklich nicht so toll“, musste auch mein ICH eingestehen, „Aber, das sind sicher nicht alle Regelungen zum Erwachsensein, oder?“. „Natürlich nicht“, erwiderte mein ÜBER-ICH schnippisch, „Es gibt noch 127 andere, die das Erwachsensein betreffen. Deshalb sollten wir jetzt anfangen, diese zu beherzigen. Es ist nicht mehr viel Zeit, das Studium endet bald!“. „Okay und wo sind die coolen Erwachsenen-Regeln, also die, von denen ich früher immer geträumt habe?“, fragte mein ICH und versuchte Schakkelin-Chantal auszublenden, die immer noch „Blöd, blöd, blöd“ rufend durch den Raum in der Schädeldecke tanzte.
„Coole Regeln?“, fragte Frau Sybille Cordula Schmitz-Schulze irritiert, „Ist es denn nicht cool, ab jetzt verantwortungsvoll, rational und besonnen zu handeln? Dann wäre hier endlich mal Ruhe im kognitiven Karton.“ Mit einem leicht leidenden Blick bedachte sie daraufhin mein ES, das immer noch seinem Unmut auf präsenteste Art und Weise Ausdruck verlieh, und fuhr fort: „Das gilt auch für dich, Schakkelin-Chantal, deine kindischen Allüren musst du dringend ablegen, so geht das nicht weiter!“.
„Was hast du gesagt?“, mein ES hielt in seinem Protesttanz inne, „Sag‘ das nochmal!“. „Es ist genug gesagt für heute“, bat mein armes, kleines ICH, das schon wieder vollkommen zwischen den Fronten stand und einen letzten verzweifelten Versuch tat, die Situation irgendwie zu entschärfen.
„Du musst lernen, dich zu zügeln“, wiederholte Frau Sybille Cordula Schmitz-Schulze, den Einwurf meines ICHs ignorant ignorierend, „du bist viel zu impulsiv und irrational, mit dir kann man so nicht arbeiten.“ Einen Moment sah es aus, als würde Schakkelin-Chantal explodieren, an die Schädeldecke gehen und noch mehr Chaos hinterlassen. Ihr Gesicht wurde puterrot, ihre Augen funkelten angriffslustig, ihre Haare standen zu Berge, doch dann zischte sie bloß: „Ich will auch gar nicht arbeiten, weil ich nicht erwachsen werden möchte.“ Dann machte sie auf der Stelle kehrt und war den Rest des Tages nicht mehr gesehen. Aber ein ständiges Gebrabbel war ununterbrochen aus ihrer Höhle zu hören, in der sie hospitalistisch hin und her schaukelte, sich die Ohren zu hielt und immer wieder „Ich werde nicht erwachsen, ich werde nicht erwachsen, Erwachsenwerden ist blöd“ vor sich hin flüsterte.
„Sag‘ du doch auch mal was dazu“, forderte mein ÜBER-ICH mein ICH nun auf, nachdem das ES sich verzogen hatte. „Nein, ich bin erwachsen und halte mich da raus“, erwiderte mein ICH jegliche Mithilfe verweigernd und zog sich auf seinen Sessel zurück. Dr. Sybille Cordula Schmitz-Schulze würdigte die Antwort, die sie eindeutig nicht haben wollte, mit einem herablassenden Blick, verließ daraufhin mit den Worten „Ihr werdet schon sehen, ihr braucht mich noch!“ das Durchgangszimmer und knallte natürlich nicht die Tür, da dies nicht erwachsen gewesen wäre. Zurück blieb mein ICH auf seinem Sessel in mitten eines Zettelchaos, in dem eine eitergelbe Mappe immer noch herausfordernd auf dem Boden lag und den Ort markierte, an dem gerade der erste Ringkampf von vielen noch kommenden geendet hatte.
Der Vorhang schließt sich, für heute ist es vorbei. Wir übernehmen keine Haftung für bleibende psychische Schäden, denn wir wissen, man kann mit ihnen leben.
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