Abschied nehmen – von einer Stadt, einer Heimat auf Zeit, einem Lebensabschnitt. Au revoir Oche!
Abschied nehmen von einer gastlichen Stätte, an der man geliebt und gelebt hat, gelacht und geweint, die man verflucht und doch tief in sein Herz geschlossen hat.
Abschied nehmen von einem Ort, den man bei strömendem Regen und im strahlenden Sonnenschein kennengelernt hat, im dunstigen Nebelgewand und bei klarster Luft nach einem hitzigen Sommergewitter.
Abschied nehmen von dir, Aachen!
Ich kenne hier jede Ecke und doch entdeckte ich immer wieder etwas Neues. Jeder Tag war wie der Vorige, aber irgendwie ganz anders. Die Zeit schien stillzustehen und doch sind fünf Jahre vergangen - fünf Jahre, in denen die Welt außerhalb sich verändert hat, die Welt innerhalb meiner Selbst sich verändert hat, nur du bist gleichgeblieben, meine Heimat auf Zeit, du karolingische Perle, du Regenloch im Sommerloch.
Aachen - du warst die Kulisse für etliche Geschichten aus meinem Leben: Tragödien, Komödien, die großen Dramen und die vielen Glücksmomente. In deinen Mauern verliebte ich mich, in deine Mauern verliebte ich mich. Ich schloss Freundschaften und mein Fahrrad ab, ich lernte mich kennen, ich lernte dich kennen und so viele Menschen, die ebenfalls durch deine Straßen gingen. Ich habe hier geweint, ich habe Tränen gelacht. Ich habe das Leben eingeatmet, ich habe das Leben weggeatmet und nur Kohlenstoffdioxid ausgeatmet. Ich habe hier gelebt.
Aachen - ich kenne dich zu jeder Stunde, du kennst mich in jeder Gefühlslage. Ich lernte von dir so viel übers Erwachsenwerden, während du in deiner Ruhe und Unveränderlichkeit mir dabei zuschautest – mit wissendem Blick, der so viele Generationen gesehen hatte, so viele Studenten, so viele Menschen, die von Kindern zu Erwachsenen wurden. Du bist eine alte Seele und meine zieht nun weiter.
Abschied nehmen heißt es nun auch von all deinen Bewohnern, 240 000 oder mehr. Von deinen Bewohnern, die mich oftmals zum Schmunzeln gebracht haben. Die mich fragten, ob ich „Eine kleine Spende, eine Spende bitte“ hätte, ob ich nicht Lust haben würde, an einem Film mitzuwirken, in dem es um Frauen ginge, die neues Leben hervorbrächten (Nein, danke, aber viel Erfolg). Die mir im Bus Dinge von sich erzählten, die ich niemals wissen wollte, die mir sagten, dass sie immer auf mich gewartet hätten und mir den einzigen Moment beschert haben, in dem ich mal die Beine in die Hand genommen habe und nach Hause gerannt bin wie eine Achtjährige. Aber das war das einzige Mal, dass ich mich nicht sicher in deinen Mauern gefühlt habe. Ansonsten genoss ich die Einsamkeit deiner Straßen um 4Uhr nachts. Ich fühlte mich geborgen zwischen all den alten Gemäuern, mit ihren faszinierenden Geschichten, mit ihren stummen Steinen, die so viel erzählen könnten, wenn sie nur eine Stimme hätten.
Aachen - du wirst mir fehlen, ich werde vermissen, ich werde Neues erleben, aber ich werde dich niemals vergessen. Du bist ein Teil von mir, aber ich nun nicht mehr von dir. Ich nehme dich mit und doch bleibst du an ein und demselben Ort, du wartest geduldig auf meine Rückkehr. Du weißt, ich werde dich nicht so ganz verlassen, ein Teil von mir hängt an dir, aber du lässt mich gehen. Zu viele hast du schon kommen und gehen gesehen, so viele wirst du noch dabei beobachten. Du weißt, was du bist, du weißt, wer du bist und ich weiß es nun auch - du lehrtest es mich über die Jahre. Du schautest mir zu, du führtest mich neue Wege, du zeigtest mir deine Facetten und ich, ich betrachtete dich, ich fand neue Pfade durch deine verzweigte, versteinerte Altstadt und ließ dich all meine Seiten sehen, die guten und die schlechten. Du kennst mich, ich kenne dich. Ich habe hier gelebt!
Abschied nehmen- ich sage Au revoir zu Aix-la-Chapelle, zu dir du schöne Pfalzstadt, zu Dom und Rathaus, zu Kopfsteinpflaster und Stadtmauer. Ich sage Au revoir zu diesem Lebensabschnitt, zu dieser Zeit, die ich loslasse und doch in meinem Herzen tragen werde - für immer und einen Tag. Au revoir Karl, Au revoir Schmachti, Au revoir Kármán, Au revoir all ihr Menschen, die ihr meinen Weg kreuztet und euch im Bus die Fingernägel knipstet. Au revoir Oche und auf ein Wiedersehen!
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