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AutorenbildJacqueline

#poe-me: Das Äffchen im Ohr

Und manchmal ist es, als würde ein kleiner Spielzeug-Affe mit Becken in der Hand vor dem Ohr hocken und immer wieder die beiden Metallscheiben aneinander klingen lassen. Das scheppernde Dröhnen, das manch ein Kind in früherer Zeit zum Glucksen gebracht hat, zerreißt gefühlt Gehörgänge und das Nervenkostüm, bevor es unheilvoll im Schädel nachhallt, hin- und hergeworfen von den knochigen Wänden unter der Haut. Und dahin geht es, unter die Haut, dringt vor bis in die Tiefen der Organe und alles vibriert in unruhiger Unstete.

Und manchmal ist es, als würden tausend Lichtblitze vor den Augen tanzen. Selbst wenn man sie schließt, sind sie immer noch da und erhellen und verdunkeln die Sicht in einem undurchdringlichen Takt ohne Zeit und Raum. Selbst wenn man in die Sonne schaute, verschwinden sie nicht. Die Blitze sind noch heller und gleißen über die Regenbogenhaut wie leuchtende Schatten. Die Welt dort hinter ist nicht mehr wahrzunehmen ohne, den Blitzen Aufmerksamkeit zu schenken, die mit hunderten Volt durch den Körper rasen – selbst die Nacht wird dann zum Tag.

Und manchmal ist es, als würden hundert stumpfe Nadeln auf einen einstechen. Ihr Pieks ist kein Pieks, es fließt kein Blut und doch schmerzt es nach einer Weile. Es ist wie auf einem Nagelbrett zu schlafen, man findet keinen Schlaf und doch ist auch das Wachen bloß ein benebelter Zustand zwischen „den Körper spüren“ und doch neben sich zu stehen und dabei zuzusehen, wie die Nadeln zustechen und kein Erbarmen zeigen. Und selbst, wenn keine Nadel mehr sticht, wenn der äußere Apparat sich beruhigt, beruhigen sich die Nerven noch nicht, es zuckt und juckt noch im ganzen Körper, erst langsam flacht dies ab.

Und manchmal ist es, als würde ein Geruch in der Luft liegen, ein Geruch nach Feuer und Brandgefahr. Es ist kein Lagerfeuer, es ist kein prasselnder Kamin, es ist der Geruch nach Kabelbrand im Gehirn, nach einem Schwelbrand am Herzen. Selbst, wenn man an einer Blume riecht, selbst wenn man die Nase tief in Erde steckt, selbst dort im feuchten Boden riecht es plötzlich verbrannt. Etwas scheint, zu schwelen, etwas scheint, durchzubrennen im Nervensystem und man steht verzweifelt davor und weiß nicht, ob man es ertränken oder ersticken soll. Und es stellt sich außerdem die Frage, wo man einen Eimer Wasser oder eine dicke Decke hernehmen soll.

Und manchmal ist es, als hätte man eine belegte Zunge. Ein Geschmack, den keine Speise der Welt und kein Munderfrischer bekämpfen können. Man schmeckt die Bitterkeit der eigenen Verbitterung und doch macht man weiter wie zuvor. Man redet sich ein, dass der Geschmack nicht für immer bleibt, doch ist er längst schon lange da. Zu lange. Sodass die Süße eines Apfels zur Erinnerung und die Bitterkeit des Lebens zur Gewissheit droht zu werden.

Sorgen, Kummer und Stress fühlen sich für jeden von uns anders an. Unsere Gefühle sind so individuell wie unser Fingerabdruck oder unsere Ohrmuschel. Nur, weil wir etwas anders fühlen als vielleicht unser Gegenüber, heißt das nicht, dass es für uns weniger belastend oder leichter zu ertragen ist. Gefühle – und insbesondere die Negativen – sind immer ernstzunehmen, sie sind Bestandteil unseres Alltags und begleiten uns jede Sekunde. Das Gute daran, da sie immer da sind, kann man jeder Zeit anfangen, an ihnen zu arbeiten. Denn es ist tatsächlich so, dass wir sie kontrollieren können, wir können uns entscheiden, wie wir uns fühlen – zumindest bis zu einem gewissen Grad. Das ist nicht immer einfach, das ist nicht immer schwer – und trotzdem ist es tröstliche Gewissheit, dass wir den bitteren Geschmack auf der Zunge, das Äffchen im Ohr, die Nadeln im Rücken, die Lichtblitze vor den Augen oder auch den beißenden Geruch in der Nase nicht für immer aushalten müssen, sondern nur bis zu dem Punkt, an dem wir entscheiden, all dies loszulassen und durchzuatmen.

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